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Kohl, Walter

Kohl, Walter

Titel: Kohl, Walter
Autoren: Leben oder gelebt werden
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mit
unterschiedlichen Standpunkten. Aber nur solange er keine Gefahr für sich
selbst vermuten muss. Seine Freundschaften mit großen Persönlichkeiten der
sozialistischen Bewegung wie Francois Mitterrand und Felipe Gonzalez sind
legendär, hier hatte die Ideologie keine Macht. Gleiches galt in seinen
Beziehungen zu Gorbatschow und Jelzin. Entscheidend war immer, dass die
persönliche Chemie stimmte, der Rest kam dann zumeist von allein.
    Mein Vater
kommt vom Rhein, der großen Achse Europas, er kommt gleichsam aus dem
Schmelztiegel unserer Geschichte. In seinem Verständnis von Liberalismus, das
hat er immer wieder betont, sieht er sich in der Tradition von Carl Zuckmayer.
An jener Nahtstelle, wo historische Gegensätze sich zur Identität eines
föderalen Gemeinwesens kristallisierten, ist seine Heimat. Im Amalgam
unterschiedlichster Lebensgefühle und Orientierungen wurzelt seine eigene Identität,
hier liegt auch der Schlüssel zu seinem geradezu verächtlichen Umgang mit
jedweder Form von Ideologie und Dogma. Es entspricht dieser Prägung, dass er
selten die Nähe zu Intellektuellen gesucht hat. Er ist und bleibt Pragmatiker,
Menschen und Dinge haben ihm zweckdienlich zu sein. Alles ist beeinflussbar,
solange es im Fluss ist. Sein persönlicher Schatten ist die unnachgiebige,
emotional fixierte Kontrolle von Menschen und Organisationen.
    Immer
wieder gelang es ihm, Brücken zu schlagen, die niemand sonst zu errichten
gewagt hätte. Ob auf dem Weltwirtschaftsgipfel oder am Abendbrottisch zu
Hause: Mein Vater ist absolut authentisch in der Art, wie er seine Beziehungen
einrichtet. Wenn er will, erreicht er mit einer ans Spielerische grenzenden
Leichtigkeit den innersten Kern seiner Gesprächspartner, egal, wer sie sind
und wo sie politisch oder menschlich stehen. So ist er in der Lage, Türen zu
öffnen, die den allermeisten Menschen verschlossen bleiben. Diese Fähigkeit
ist ein zentrales Geheimnis seiner Gestaltungskraft im politischen, aber auch
im persönlichen Bereich. Durch seine Authentizität als oberster Kohlianer,
quasi als Stammeschef, ist er für seine Mitstreiter, solange sie sich ihm
verschreiben, berechenbar und verlässlich.
    Ich habe
dies oft bei offiziellen Anlässen beobachten können. Mein Vater ist
ausschließlich auf Personen und seine Beziehungen zu Menschen ausgerichtet.
Dies aber immer unter der gleichen Voraussetzung: Er muss diese Menschen als
loyal zu seiner eigenen Person empfinden, die Person muss seinen
Führungsanspruch total anerkennen. So gut wie kein politischer oder sachlicher
Dissens kann diese Loyalität zerstören, das Persönliche steht über der Sache.
Deshalb, und da bin ich mir hundertprozentig sicher, wird er auch das Geheimnis
der anonymen Spender mit ins Grab nehmen. So mancher andere jedoch, und sei es
ein langjähriger Parteifreund oder ein Verwandter ersten Grades, lernte ihn von
einer ganz anderen Seite her kennen, wenn er nicht die wesentlichste Eigenschaft
des Kohlianers mitzubringen schien: die Unterwerfung unter den Führungsanspruch
des Helmut Kohl.
    Mein Vater
trennt nicht nach Beruf und Familie, für ihn sind diese Lebensfelder eine
Einheit. Seine eigentliche Familie ist ohnehin die CDU, sie ist im archaischen
Sinne der Stamm, der Clan, dem er als Häuptling diente und vorstand. Für ihn
gibt es keine Trennung zwischen seinem eigenen Schicksal und dem Schicksal der
Partei. In seinem Denken verkörpert er die Partei. Die CDU war immer der
Mittelpunkt seines Lebens. Sein Rückhalt in der Partei war für ihn das Alpha
und das Omega seiner politischen Tätigkeit. Umso tiefer war die Wunde, die ihm
Parteifreunde« im Zuge der sogenannten Spendenaffäre schlugen - oder schlagen
ließen, um selbst ihre Hände in Unschuld zu waschen.
    Und
Oggersheim? Die Welt der Familie? Es war die Welt seiner Frau, unserer Mutter,
die er an Wochenenden und im Urlaub besuchte. Seine eigene Familie war ihm nie
Heimat und Sinn in dem Maße, wie es die CDU war und ist.
    Der
Kohlianer war für meinen Vater die lebenserhaltende Spezies für seinen eigenen
Kosmos - da machte er keinen Unterschied zwischen Privatsphäre, Politik und
öffentlichem Leben. Sein Misstrauen und seine Angst, dass sich Dinge außerhalb
seiner Kontrolle entwickeln könnten, trieben ihn permanent an, durch sein
Revier zu streifen, nach dem Rechten zu sehen und Hinweise der Bestätigung
seiner Souveränität zu finden. In dieser Mentalität gleicht mein Vater
mittelalterlichen Kaisern, die mit ihrem Hof ruhelos
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