Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kohl des Zorns

Kohl des Zorns

Titel: Kohl des Zorns
Autoren: Robert Rankin
Vom Netzwerk:
Cider Island vorbei zum Wehr fuhren, wo die verlassenen Werften und dahinter die Themse selbst lagen.
    Am Wehr angekommen, kletterte John aus dem Sattel. Marchant mochte vielleicht ein merkwürdiges und magisches Vehikel sein, doch Treppensteigen gehörte nicht zu seinem metaphysischen Repertoire. Omally schulterte das Wunderfahrrad und stieg die Treppen hinauf. Dann setzte er seinen Weg fröhlich pfeifend fort.
    Plötzlich jedoch schwand die helle Unbekümmertheit aus seinen beschwingten Schritten und die herausfordernde Keckheit aus seiner Haltung, um von einem verstohlenen, unruhigen, ganz eindeutig schuldbewußten Schleichen abgelöst zu werden.
    Omally führte etwas im Schilde.
    Seine Schritte wurden langsamer, ein hastiger Blick zurück über die Schulter, eine unvermittelte Bewegung. Ein Abschnitt des Wellblechzauns schwang beiseite, und ein Bursche mitsamt Fahrrad verschwanden vom Fußweg und waren nicht mehr gesehen.
    Hinter dem Wellblechzaun schlummerte die längst verlassene Bootswerft. Die stumpfen Wände der verfallenden Gebäude waren überwuchert von Ranken, die leeren Fenster voller Spinnweben. Hie und da zeigten sich tragische Überreste der einst stolzen Werft inmitten eines weiten, grasbewachsenen Ozeans. Hier ein Kran, der wie ein gebrochener Galgen in den Himmel ragte, dort Flaschenzüge und allerlei Krempel, überreif vor Rost. Winden, Pulleys und Blöcke, nur undeutlich zu erkennen unter dichtem Moos, wettergegerbt und wertlos. Und dahinter ein Kai, an dem der rostige Leichnam eines großen Leichters im öligen Wasser dümpelte.
    Einst hatten sich auf der Insel zahlreiche kleine Bootsbauer wie Perlen an einer Schnur gereiht, quer durch die gesamte Gemeinde, und sie hatten alle floriert. Hier hatten die Frachtleichter und Ausflugsboote, die Stechkähne und Themsedampfer aus handgearbeiteten Planken unter den geschickten Händen der Bootsbauer Gestalt angenommen. Heute war das nicht mehr so. Vereinzelt hatte eine kleine Werft überlebt — gut gesichert durch Stacheldraht und des Nachts durch frei herumlaufende Hunde —, indem sie Plastikboote oder atemberaubende Fiberglas-Luxusjachten für arabische Mogule fertigte. Schwimmende Statussymbole für Kameltreiber. Das alte Leben war verschwunden, und jene besondere Form von Melancholie, die ehemals blühenden Betrieben zu eigen ist, ergoß sich in Wogen aus Lavendelblau über die Ruinen. Denn Blau ist die Farbe der Tränen und des Ozeans, der See und der Trauer.
    Omally legte Marchant auf die Seite, damit er sich auf einem Lenkergriff ausruhen konnte, und der frühe Sonnenschein fing sich im Reflektor der Vorderlampe. Der Sohn Irlands krempelte die Hosenbeine hoch und machte sich daran, durch das hüfthohe Gras in Richtung des rostigen Leichters zu waten.
    Als er den Rand des Werftgeländes erreicht hatte, hielt er erneut inne, um sich zu versichern, daß er weiterhin unbeobachtet war. Danach sprang er auf den Leichter hinunter und klopfte einen komplizierten Rhythmus auf das rostige Deck.
    Aus den Tiefen des alten Kahns tauchte ein Kopf auf, und eine Stimme — die von Jim Pooley — rief laut: »O Mannomann, John! Du bist verdammt noch mal zu spät!«
    Omally kletterte durch die Luke nach unten und in die Eingeweide des alten Wracks.
    Das Innere bot einen überraschenden und in höchstem Maße unerwarteten Anblick. Über einen Zeitraum von vielen Monaten hatten Pooley und Omally einen Umbau wagemutigster Kühnheit vorgenommen. Der überalterte Kahn beherbergte nun eine richtiggehende Destillerie, eine Reihe grandioser Fischtanks, in denen Flußfische von wahrhaft preisträchtigen Ausmaßen träge umherschwammen, ein Lager für ›umdirigierte‹ Waren und einen behaglichen Salon zum Empfang bedeutender Gäste.
    Eine ganze Reihe Bullaugen unterhalb der Wasserlinie gab den Blick auf kunstvolle Fischreusen frei, die über den Kühlrohren der Destille angebracht waren. Das hier war das Herz und Hauptquartier von etwas, das nur wenigen Auserwählten als die ›P & O Company‹ bekannt war. Es hatte Einiges von der Nautilus eines Captain Nemo, aber noch mehr von Fagins Küche. Obwohl — für den Fall einer Anklage — zu Johns und Jims Entlastung deutlich gesagt werden muß, daß die beiden sich weder mit Falschmünzerei noch mit der Herstellung harter Drogen befaßten.
    Pooley und Omally nahmen den Morgenkaffee im vorderen Salon ein. Der Stil des Zimmers war genaugenommen eklektisch. Hier eine Spur Post-Moderne, dort ein Hauch Rokoko, mehrere Kisten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher