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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder
Autoren: Gernot Gricksch
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dachte an Schwester Lisa, die er nun nicht mehr schweigend anhimmeln musste.
    Er öffnete die Tür zu Zimmer 3B. Als Mark eintrat, kam ihm der lauteste Schrei entgegen, den er je gehört hatte.
    »Einmal noch«, sagte die Hebamme, die neben der Schwangeren am Bett stand. »Bei der nächsten Wehe ist es da.«
    Mark trat zögernd ein und die Hebamme winkte ihn zu sich heran.
    »Sie sind der Taxifahrer?«, fragte sie.
    Mark nickte.
    »Wollen Sie ihre Hand halten?«, fragte die Hebamme. Und Mark war überrascht, dass es tatsächlich nichts gab, was er in diesem Moment lieber getan hätte.
    Er ging hinüber zu dem Bett und nahm die verschwitzte Hand der Frau. Er wollte ihr aufmunternd zulächeln. Doch als er sie ansah, zum ersten Mal in ihr Gesicht sah, zum ersten Mal in ihre Augen, da lächelte er nicht.
    Er hielt so abrupt inne, als wäre die Zeit stehengeblieben!
    Mark hörte auf zu atmen und stand starr und fassungslos da.
    Ganz plötzlich wusste er, dass er angekommen war. Dass es von diesem Moment an anders weitergehen würde in seinem Leben. Er wusste, dass es geschafft war. Was auch immer. Er fing erst wieder an zu atmen, als die Frau seine Hand presste. Er sah in ihre Augen, er sah hinunter auf ihren Schoß, und er sah Blut und den Kopf eines Babys, und er wusste – er wusste es einfach!  –, dass dies auch sein Baby war.
    Seine Hand tat weh und sein Herz brannte und er lachte und, auch wenn Simone es ihm später niemals glaubte, er dachte in diesem Moment tatsächlich an sein wunderschönes altindisches Städtebaumodell. Er dachte an sein perfektes Stück Heimat am Ufer des Saraswati.

    Der Schmerz verließ Simone so abrupt, wie er gekommen war. Er floss aus ihrem Unterleib und in seine Hand, und sie nahm das Baby und sie spürte die Hand des Mannes auf ihrer Wange und sie spürte, dass er sie küsste, was der pure Wahnsinn war, aber genau richtig, und sie sah ihre Tochter, die so schön war und sich erfolgreich aus ihr befreit hatte und der alle Türen offenstehen würden, wenn sie nur durchzugehen bereit war. Und sie sah wieder in die Augen des Mannes, und die waren tiefer als alles, was sie je in ihrem Leben gesehen hatte.
    »Ich heiße übrigens Simone«, sagte sie.
    »Mark.«
    »Ich freue mich, dich kennenzulernen«, lächelte Simone.
    »Ja, ich mich auch. Total.«

    Das Baby legte den Kopf erschöpft auf der Brust seiner Mutter ab, weil es anstrengend ist zu leben.
    Aber so ist das nun mal.

Nachbemerkung
    Königskinder ist – das wird niemanden wundern – eine frei erfundene Geschichte. Natürlich habe ich versucht, den jeweiligen Zeitgeist genau einzufangen, alle Filme und Musikstücke, die irgendwo erwähnt werden, wurden von mir (hoffentlich) zeitlich korrekt eingebunden, und die weltpolitischen Ereignisse, die die Handlung unterfüttern, habe ich auch nicht einfach munter ein paar Jahre vor- oder zurückdatiert. Doch hin und wieder habe ich das, was Ihnen an diesem Buch als Fakten erscheinen mag, so verändert, wie es für meine Geschichte Sinn macht. Matthias Rust etwa landete gar nicht direkt auf dem Roten Platz, sondern auf einem Parkplatz in der Nähe.
    Falls Sie den Ort Linstahn auf der Landkarte suchen sollten: Sie werden ihn nicht finden. Ich habe mir bei der Schilderung der Oderflut so viele Freiheiten erlaubt, dass ich mich nicht traute, den richtigen Namen des Ortes, der hier Pate stand, zu benutzen. Die große Überschwemmung in Brandenburg war natürlich weniger amüsant, als ich es ausmale, und kam in Wirklichkeit längst nicht so überraschend, wie ich es beschreibe. In diesen Szenen habe ich meine Phantasie zugegebenermaßen mal an einer sehr langen Leine laufen lassen.
    Auch ist Costa Rica womöglich nicht ganz so korrupt, wie ich behaupte. Und sind nicht alle Tierbefreier Vollidioten?

    Eine Begebenheit in diesem Roman ist aber exakt und ohne die kleinste dichterische Freiheit so passiert, wie ich sie beschreibe: Die vier MacMoneysacs in dem Nobelhotel, die dem Koch seine iberischen Tortillahäppchen entreißen wollten, habe ich tatsächlich beobachtet. Selten durfte ich etwas Entlarvenderes miterleben. Lange hatte ich überlegt, ob ich diese Momentaufnahme als Inspiration für einen eigenständigen Roman nutzen sollte. Vielleicht mache ich es auch noch.

    Großer Dank gebührt meinem Lektor Timothy Sonderhüsken, der mir auch bei diesem Buch wieder eine enorme Hilfe und Stütze war und von dem – Ehre, wem Ehre gebührt – die zauberhafte Idee stammt, im Silvesterkapitel
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