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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder
Autoren: Gernot Gricksch
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Gesicht nicht sehen, aber er wusste, dass sich gerade ihre Mundwinkel gehoben hatten.
    Seltsam, dachte er. So etwas einfach zu wissen.

    Der Taxifahrer kam direkt vor dem Haupteingang zum Stehen, sprang aus dem Wagen und rannte ins Gebäude. Simone machte Anstalten, das Taxi zu verlassen. Sie hatte bereits die Tür geöffnet und ein Bein ins Freie gewuchtet, als erneut eine Wehe einsetzte.
    »Ahhhhhhhh!«, schrie sie laut auf und sackte auf dem Rücksitz zusammen. »Gottverdammte Scheiße!«
    Doch da kam auch schon der Taxifahrer zurück, gefolgt von einem Krankenpfleger, der einen Rollstuhl schob, und zwei weiteren Menschen, die Simone nicht erkennen konnte. Der Krankenpfleger und der Taxifahrer hievten sie aus dem Auto und beförderten sie unter großem Schnaufen und Ächzen in den Rollstuhl. Simone kam sich vor wie ein verdammter Schwertransport.
    Irgendjemand sagte etwas zu ihr, aber Simone verstand es nicht. Dafür schoss ihr durch den Kopf, dass sie sich bei dem Taxifahrer bedanken sollte, bei ihrem Retter. Sie wusste ja nicht einmal, wie er aussah. Sie hatte keine Chance gehabt, ihn anzuschauen. Da waren ständig Tränen und Schweiß und Haare in ihrem Gesicht gewesen, und um sie herum Dunkelheit und Hektik und ein großes Durcheinander. Mit einer matten Handbewegung versuchte Simone, sich die Haare aus dem Gesicht zu streichen, während sie im Eiltempo in den hell erleuchteten Eingangsbereich des Krankenhauses geschoben wurde. Sie versuchte, sich nach dem Fahrer umzuschauen, aber er war nicht da.
    Warum wollte sie ihn unbedingt sehen? Er war doch nur ein Taxifahrer.
    »In welchen Abständen kommen die Wehen?«, fragte eine Krankenschwester, die neben ihr lief. Sie rannte richtig. Und erst jetzt wurde Simone bewusst, dass der Pfleger sie in solch einem Tempo durch die Gänge schob, als wäre er Michael Schuhmacher.
    »Wo ist der Fahrer?«, keuchte Simone.
    »Der Pfarrer?«, wunderte sich die Krankenschwester. »Aber sie brauchen doch keinen Pfarrer! Sie sterben nicht, Sie bekommen nur ein Kind.«
    »Der Fahrer! «, schrie Simone. »Wo ist der Taxifahrer?«
    »Am Empfang, glaube ich«, keuchte der Formel-Eins-Krankenpfleger hinter ihr, während sie um eine Kurve bogen. »Keine Angst, wir kümmern uns um seine Bezahlung. Sie können uns das später zurückgeben.«
    »In welchen Abständen kommen die Wehen?«, fragte die Krankenschwester noch einmal.
    »Die hören kaum noch auf«, rief Simone.
    »Wohin?«, fragte der Pfleger die Schwester.
    »B 3«, antwortete die.
    Ich kriege mein Kind, dachte Simone. Ich kriege mein Kind.
    »Haben Sie irgendwelche Allergien?« – »Sind Sie Bluterin?« – »Ist das Ihr erstes Kind?« – »Haben Sie ihre Krankenkassenkarte dabei?« – »Ihr Name?« – »Sollen wir jemanden anrufen?« So viele Fragen, die von hinten und von der Seite her auf sie einprasselten!
    Simone beantwortete so viele, wie sie es schaffte. Man rollte sie in einen Raum, wuchtete sie ins Bett. Eine Hebamme erschien, fummelte an ihr herum und sagte dann: »Neun Zentimeter. Es geht los!« Und dann setzte auch schon wieder eine Wehe ein.
    Simone fragte sich trotz all der Schmerzen und des Schwindels und der Erschöpfung, wie das möglich war. So schnell konnte das doch gar nicht gehen! Keine Frau bekam so schnell und so plötzlich ihre Wehen! Sie konnte doch nicht vollständig alle Gesetze der Zeit ignorieren. Nichts lief so, wie es zu laufen hatte! Niemand bekam so schnell sein Kind.
    Und doch war es so, als ob es eine vorbestimmte Zeit gab, in der genau das geschehen sollte, was jetzt geschah. Nur warum? Das war doch absurd!
    Während die Hebamme ihre Hand hielt und eine Schwester ihr mit einem wunderbar kühlen, feuchten Tuch die Stirn abtupfte, hörte Simone den Pfleger und die Schwester leise miteinander reden.
    »Du hast gleich Feierabend, oder?«, fragte die Schwester. Sie stand dicht neben ihm. Ihr Oberkörper tendierte fast unmerklich in seine Richtung, ihr Kopf neigte sich leicht zu ihm hinüber, als wolle er auf seine Schulter sinken.
    »Besser als das!«, sagte der Pfleger. »In zehn Stunden fahre ich in den Urlaub! Erst mal mit dem Auto bis nach Barcelona und von da aus dann zwei Wochen mit einem Segelboot an den Küsten entlang.« Obwohl er sich offensichtlich darauf freute, meinte Simone, noch etwas anderes in seiner Stimme zu hören. Fast so etwas wie … Bedauern?
    »Toll«, sagte die Schwester, doch es klang in Simones Ohren alles andere als enthusiastisch. »Ich fahr bloß wieder in
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