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Königskinder (German Edition)

Königskinder (German Edition)

Titel: Königskinder (German Edition)
Autoren: Erica Fischer
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London meine De-facto-Entlassung (theoretisch bin ich seit dem Weihnachtstag frei). Daher erscheint es unwahrscheinlich, dass ich das Camp in dieser Woche verlassen werde. Schade, dass wir Silvester nicht miteinander verbringen können. Diese neuerliche Verzögerung hat meine Nerven gründlich zerrüttet. Jetzt kann es sich aber wirklich nur noch um Tage handeln. Liebling, sei geduldig und nicht bedrückt, freu Dich auf die fröhlicheren Tage, die vor uns liegen. Darling, ich sehne mich so sehr nach Dir, einem normalen Leben und einer sinnvollen Tätigkeit. Ich liebe Dich.
Eric

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    29
    Irka streift das Tischtuch glatt. Das Telegramm ist vor wenigen Stunden eingetroffen. Sie hat sich einen halben Tag freigenommen, um das Zimmer und sich selbst für den großen Augenblick vorzubereiten. Es ist ihr gelungen, zwei andere Räume im Haus in der Alma Road zu mieten, ein Wohnzimmer und ein beheizbares Schlafzimmer ohne feuchte Wände. Buchstäblich in letzter Minute – die Vermieter hatten ein Einsehen.
    Auf dem Tisch Gegenstände, die Erich kennt, er soll sich nicht fremd fühlen in seinem neuen Heim: ein Kerzenständer, ein Aschenbecher, eine kleine Obstschüssel mit Äpfeln, alles in Wien von ihr selbst in Bronze getrieben. Auf dem Kaminsims Weihnachtskarten, die Freunde ihr geschickt haben, von ihrer Schwester aus Australien ein rot gewandeter Santa Claus auf einem von Elchen gezogenen Schlitten im Tiefschnee. Irka muss lächeln, typisch Ludka, in Australien ist jetzt Hochsommer, Geschmack hatte sie noch nie. Immer musste Irka sie in Warschau bei der Auswahl ihrer Kleider beraten, und selbst dann hat ihre Schwester keine gute Figur gemacht. Was Irka in den Fingern hat, hat Ludka im Kopf. Irka ordnet die Stechpalmenzweige mit den roten Beeren in der Glasvase, an den Türrahmen hat sie nach englischer Sitte einen Mistelzweig angebracht, so muss Erich sie gleich küssen.
    Es ist Abend geworden. Sie zündet die Kerze an, leider gab es nur weiße. Irka liebt Farben. Mehrmals läuft sie ins Badezimmer, um sich im Spiegel zu begutachten, ihre Lippen sind rot, wie Erich es mag. Sie zupft ihre Frisur zurecht, korrigiert die Strumpfnaht. Kehrt ins Wohnzimmer zurück.
    Irka dreht an ihrem Ehering, der ihr zu locker geworden ist. Hoffentlich ist sie Erich nicht zu mager. Und hoffentlich sieht er ihr die Begegnung mit Leo nicht an. Sie hätte nicht mit ihm gehen sollen. Sie hätte sich ihm verweigern sollen, als sie am späten Vormittag aufwachten und die Sonne ihnen in die Augen schien. Das schlechte Gewissen wirft einen Schatten auf ihr Wiedersehen. Die Frauen in Primrose Mansions haben mitbekommen, dass etwas vorgefallen war, als sie erst am Nachmittag ankam, ihre Handtasche packte und wortlos zum Bahnhof stürzte. Sie werden sie aber nicht verraten.
    Nicht daran denken. Sie haben einander nach jener schrecklichen Bombennacht und dem süßen Erwachen auch nicht mehr wiedergesehen. Obwohl sie es beide gewollt hätten. So einsam war sie damals, so groß war die Angst. Leo, ein Flüchtling und Jude wie sie selbst. Es hat ihr gutgetan. Gewiss würde ihr Erich diesen Augenblick der Schwäche verzeihen. Aber das ist jetzt alles vorbei. Von nun an gibt es nur noch ihren Mann, auf immer und ewig, wie sie es einander versprochen haben. Erich und das neue Leben. Eine richtige Familie vielleicht.
    Irka geht im Zimmer auf und ab. Wird es ihm hier gefallen? Vorhänge hat sie genäht, ein Foto aufgehängt, es eigens vergrößern lassen: sie beide als Hausangestellte in Wiltshire, er im zerknautschten Anzug mit einer Hochwasserhose, sie in einer weißen österreichischen Strickjacke mit roten Bommeln. So glücklich sehen sie aus. Eigentlich war es schon damals gewagt, ein österreichisches Kleidungsstück zu tragen. Wahrscheinlich haben die Engländer es in ihrer insularen Ignoranz nicht als solches erkannt, wie oft haben sie Austria mit Australia verwechselt. Damals war auch noch kein Krieg.
    In der Küche wartet ein Hackfleischbraten mit Kartoffeln und Yorkshire-Pudding, die Hausbesitzer haben ihr erlaubt zu kochen. Hackfleisch aus der Dose ist manchmal zu haben, und die drei Eier, die ihr monatlich zustehen, hat sie für den großen Tag aufbewahrt.
    Irka presst die Hände gegeneinander wie damals im Luftschutzraum. Warum kommt er nicht? Der Bus müsste längst eingetroffen sein. Vielleicht hat er ihn verpasst, muss die Nacht auswärts verbringen. Vielleicht hat er sich in St. Albans verirrt. Dieses Warten ist
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