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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition)
Autoren: Hans Pleschinski
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löffelte hungrig und geduckt. Die jungen Leute neben ihm wußten mit dem Greis nichts anzufangen. Zwischen den Happen leuchteten hinter den Gläsern seine Augen auf. Der Blick wanderte über die glanzvollen Anwesenden, blieb auf Klaus Heuser und dem Indonesier haften, um dann abermals bei Thomas Mann zu verweilen. Der war nach der überstandenen Begrüßung anderweitig beschäftigt. Aber es klang in Bertram nach. «Alter Gefährte. Hast auf Mörder gesetzt und nicht auf das Leben. Doch nun soll Nachsicht walten. Nimm Platz.»
    Anwar Batak wollte keinen Wein trinken, nie mehr, doch angesichts der prostenden Weißen, einiger Spannung rundum, und nachdem Klaus ein Glas gekippt hatte, hob auch er die Hand, als ein Flaschenhals nahte. Ausruhen würde er in ein paar Wochen in einer Hängematte. Dann würden sie hier alle, wenn sie’s wüßten, neidisch sein.
    Der Hauptgast nahm kaum einen Bissen zu sich. Seine Tochter nagte vom Reh. Der Sohn knüllte die Serviette. Klaus schaute sich bisweilen um, über seine Eltern hinweg, als schwebte er inmitten einer Fata Morgana, deren Flirren ihm Trugbilder vorgaukelte. Über ein Blumengesteck hinweg verständigten sich mehrmals und flüchtig seine Blicke mit denen des Dichters, ohne daß Klares mitgeteilt wurde. Gesprächsfetzen waren vernehmlich, verloschen, Sängerinnenschmuck blitzte, Sommernacht duftete herein, irreal salzig wie Meeresbrise, mit Möwenschrei, Wimpelknattern längs des Strands, Dünungsrauschen, Sand klebte auf der Haut, die Füße hinterließen weiche Spuren, das Kindertoben mit Eimerchen voller Muscheln, im Strandkorb Schlummernde, die Strömung zog unversehens unter Wogenkämmen zu treibendem Tang hinab. Nicht zu weit hinaus! Man täuscht sich leicht. Die Dünung entwickelt einen unvorhersehbaren Sog.
    Applaus weckte auf. Thomas Mann hatte sich erhoben. Auch als Vertreter von Kultusminister Schütz gebot Staatssekretär Leubelt mit einem Fingerzeig an seiner Tischhälfte Ruhe. Der Dichter entfaltete ein Blatt. Für gänzliche Andacht postierte sich ein Kellner vor der Schwenktür der Küche.
    «Dieser Lebensaugenblick», das Räuspern zog ein Räuspern anderer nach sich, «hat für mich etwas Herzbewegendes.» Die Anwesenden sannen nach. Der Rahmen der Goldbrille funkelte. «Diese Gefühlsregung darf nicht gänzlich stumm hinter die objektiv-künstlerische Darbietung dieses Abends zurücktreten, sondern verlangt nach einem Ausdruck, und sei es der schlichteste. Düsseldorf, meine Damen und Herren, ist in meinem Lebenskalender ein Ort, der stets einen besonderen Rang genoß. Von früh an konnte Ihre Metropole des Rheinlands mich an Handel und Wandel denken lassen, an ein Bürgertum, das sich über lange Zeiten seiner selbst Herr war und überdies seine schaffensfrohe Tüchtigkeit über viele Jahreswochen mit einem Treiben zu verbinden versteht – ich spreche von den Tollheiten des Karnevals», man nickte einander zu, auch der Pastor lachte, «in dem während losgelöster Stunden die Phantasie über das Kalkül obsiegt, ja, ein munteres Heidentum, dem auch Goethe keineswegs abhold war, manch drückende Tristesse beiseitefegt und unsere oft allzu eingeengten Lebensläufe mit schöner Narretei durchwürzt. Aus meiner Heimat», er blickte aufs Blatt, man lauschte der historischen Stimme, «hätte Deutschlands weisester Schalksnarr, Till Eulenspiegel, hinter Düsseldorfs Zinnen vielleicht länger seines Bleibens gehabt, um dann weiterzuziehen und andernorts, als ein zweiter Sokrates, zu lehren, daß strenges Leben seine Ergänzung braucht in gefälligem Übermut, um die Seele mit frischen Kräften zu versorgen. Diese Stadt, verehrte Bürger, bleibe ihrer länderverbindenden Rührigkeit, dem Beharren auf Kunst auch in diesem neuen Gebäude und der Dosis Schaumwein in ihrem Wesen treu. Übles, das Übelste scheint durchstanden, das düstere Neandertal befindet sich nicht nur in der Nähe der geschundenen Gassen. Zwischen und angesichts rasender Horden, die Gnade nicht kannten, nicht Recht, nicht Kultur, haben wir selbst gelebt. Und mein Fluch gilt den Tätern. Geschändet haben sie unser Erbe, und was als ehrbar deutsch galt, in den Schmutz gezogen. Massenkrampf erlebten wir, Budengeläut und derwischmäßiges Wiederholen monotoner Schlagworte, bis die Mäuler schief hingen. Fanatismus wurde Heilsprinzip, Begeisterung epileptische Ekstase, Politik zum Massenopiat. Das wenden Vernunft und Ehrgefühl, die Scham und ein mitfühlendes Menschentum, denn ein Geringeres
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