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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition)
Autoren: Hans Pleschinski
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sich mutmaßen, doch sein Wohlgefühl mochte ein anderes sein als das vieler.
    Die Bebauung lichtete sich.
    Tau rann die Scheiben herab.
    Schon ein Morgenstreif?
    Sie konnten einander vertrauen.
    «Das Äußerste geht mich jetzt an, Klaus. Tod, letzter Flug in die Flamme – im All-Einen, wie sollte er denn nicht nur Wandlung sein? In meinem Herzen, teure Bilder, du, mögt ihr ruhen – und welch freundlicher Augenblick wird es sein, wenn wir dereinst wieder zusammen erwachen.»
    Klaus sah sich nach einer Wolldecke um, erblickte aber nichts dergleichen. Womöglich aus einer staunenswerten Einfühlsamkeit hatte der Fahrer das Tempo so gedrosselt, daß er bequem einem Trauerkondukt hätte folgen können.
    Abermals holprige Bahngleise. Bäume, die sich aus der Nacht schälten. Vorgärten. Die geschwungenen Nebengebäude rahmten den Weiher. Die französischen Schieferdächer glänzten feucht. Die hölzernen Jalousien vor den Bogenfenstern von Schloß Benrath waren geschlossen. Pan und seine Nymphen standen auf Sockeln zu Seiten der Schaufront des Palais, verwitternd wie die vier Sandsteinlöwen, die, grämlich von Miene, die Pranken gekreuzt, Freitreppe und Auffahrt flankierten. Die Schindeln spiegelten den ersten Schimmer von Morgenröte.
    «Heim. Heim? Es taugt nicht», forderte Thomas Mann. «Hier fütterten vorzeiten Witwen schwarze Schwäne. – Höchstens ein paar Schritte, um einmal früheste Luft zu kosten. Der Mönch Luther roch sie in seiner Klosterzelle.»
    «Dort hinten halt», wies Heuser, nun selbst zunehmend besorgt wegen der fast gemeinsamen Tollkühnheit, den Fahrer an. «Und dann warten.»
    Klaus half dem Senatorennachfahren aus dem Wagen. So beklemmend unwirklich war es gar nicht, denn es geschah. Die Morgenluft war von göttlicher Würze wie vielleicht am ersten Schöpfungstag, kühl war sie, keineswegs eisig. Die Himmelsröte breitete sich über den Wipfeln aus. Von überall her, aus dem Park, den Baumkronen der Fächerallee, den Sträuchern am Schlangenbach, den geschnittenen Eiben des Schloßparterres schien Zwitschern lauter zu werden, vervielfachte sich der Frühgesang. Von Hainbuche umwuchert, annähernd verdeckt, erkannte er in der Ziegelmauer des Orangeriegartens die Lattenpforte, durch die er in der Schulzeit mit seiner Schwester mehrmals in die Parkanlagen geschlüpft war, um besonders prächtige Geburtstagssträuße zu pflücken.
    «Ich tat nie Verbotenes», vernahm er hinter sich.
    Im Ruckeln an dem maroden Holz fragte er, was er nicht fragen durfte: «Bin ich es geworden, bin ich Joseph in Ägypten?»
    «Nie habe ich gelogen.»
    «Das stimmt wohl.» Die Pforte gab nach. Sie standen zwischen Wegebuchs und Rittersporn. Linker Hand erhob sich die rustikale Orangerie in den Tag. Vor ihnen dehnten sich, von Goldlack und Kokardenblumen gesäumt, die Rabatten und Rondelle aus. «Düsseldorfs Paradiesgärtlein.» Rosen um den stillen Fontänenteich mochten sich schon öffnen.
    «Bin ich es?» wiederholte Klaus.
    «Zum Teile.»
    Klaus schluckte. Es war bitter, mit anderen vermischt zu sein und nach dem eigenen Tod als ein Fabelwesen durch die Literatur zu geistern.
    «War ich’s Ihnen?»
    «Zum besten Teile. Und bewegtest den Erzvater Jaakob und die Herzen der Ägypterinnen, du rührtest die Himmelsmacht.»
    «Oh, das war Ihr Joseph», wehrte er ab.
    «Was ist diese Macht ohne uns, die hinfällig Wundersamen?»
    In der Taufeuchte verharrten sie.
    «Du warst mehr, herzlieber, schöner Klaus. Und daß ich dich liebte, was ging’s dich an?» Aufrecht blickte Thomas Mann über die Skulpturen in die Ferne. «Der Augenstern. Ein Licht der Nacht. Der erste Sprung ins Traumhafte. Das Geschmeidige, nach dem das Lebende verlangt, warst du, die pulsierende Wärme, die der Mensch bei sich fühlen möchte, Verführung, das Glück im Grauen, mein Sehnen und mein Seelenfeuer.»
    «Nicht doch, so viel?»
    «Gelebt und geliebet. Die Schläfe an meiner. Schwarze Augen, die Tränen vergossen für mich, geliebte Lippen, die ich küßte.»
    Klaus Heuser neigte den Kopf. Jene Tränen, deren er sich gar nicht so genau besann, meldeten sich abermals.
    «Und was ist Treue? Sie ist Liebe, ohne zu sehen, der Sieg über ein verhaßtes Vergessen. Wir begegnen einem Angesicht, das wir lieben, und wir werden wieder davon getrennt. Das Vergessen ist sicher, aller Trennungsschmerz ist nur Schmerz über sicheres Vergessen. Unsere Einbildungskraft, unser Erinnerungsvermögen sind schwächer, als wir glauben möchten. Wir werden
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