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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition)
Autoren: Hans Pleschinski
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schaute ihn frontal an. Das alte Gesicht mit leichten Tränensäcken war nicht mehr starr, nicht mehr ganz hoheitsvoll, sondern unmerklich durchzuckt von einem rasenden Weh, Kummer, und ein Lächeln auf beider Münder erlosch in einem Versuch.
    «Ich kann doch jetzt nicht weinen?»
    «Warum? Er tut’s doch auch fast.»
    In der Dame im schwarzen Kleid, die auf ihn zueilte, erkannte Klaus Heuser Katia Mann wieder, nun aber um ein paar Zoll geschrumpfter als vor einem Vierteljahrhundert. «Sie sind’s unverkennbar, Klaus. Willkommen. Daß wir leben, ist gewiß eine Gnade. Auf mein Roastbeef waren Sie damals ganz versessen. Die Köchin war gut. Tja, Haus, Garten in der Poschingerstraße, nichts mehr da. Waren Sie öfter mit ihren Eltern auf Sylt?»
    «Nein, nein.»
    «Nun kommen Sie aber. Befreien Sie ihn von dieser Tortur. Bereits nach der Lesung endlos.» Frau Mann nickte auffordernd.
    «Zu nett.»
    «Zu nett auch nicht. Täuschen Sie sich nicht.» Da Anwar Batak ihnen durchaus auffällig folgte, wandte sich Katia Mann dem Asiaten im Smoking zu. «Das mit der Begleiterin. Verzeihung, Erikind berichtete nervös. Und ein bißchen Farbe tut ja immer gut.»
    «Mijnheer Sumayputra», stellte er sich im Gehen selbst vor. Die Zwergin im Gefolge waren sie offenbar los. Sie schien sich für den Dichtersohn zu interessieren, der von einem Stehtisch aus gleichfalls alles im Auge behalten wollte.
    «Tommy, hier bringe ich dir Joseph, ich meine, Klaus Heuser. Und seine Begleitung aus?»
    «Sumatra.»
    Thomas Mann hatte sich aus der Ansammlung gelöst, die sich zerstreute. «Oh, die Insulinen, gewiß ein überwältigendes Archipel. Für alles Asiatische hegte ich stets ein ausgesprochenes Faible. Ein Buddha bereichert meinen Schreibtisch und vermittelt Ruhe, wenn alles bersten will.» Vielleicht, um sich in die Situation einzugewöhnen oder zuerst den Fremden einzubeziehen, hatte er sich an den Indonesier mit malaiischer Beimischung gewandt. Die Finger spielten unruhig mit dem Füllfederhalter. Er schien väterlich, ja, großväterlich Klaus ins Auge fassen zu wollen. Doch der Blick schweifte wieder zur Seite, der Adamsapfel verriet ein Schlucken, er faßte an die Brille, wobei er mit dem Daumen über einen Augenwinkel wischte.
    «Klaus Heuser.»
    «Der Triton, der Ekke Nekkepenn, der friesische Meergeist von Westerland.»
    Jetzt lächelte das müde Gesicht. «Ich darf Sie doch noch Klaus nennen? Im Namen liegt viel Schmerz.»
    «Aber Tommy», Katia Mann ergriff ihn am Arm. Er faßte sich, sein Blick blieb gesenkt. «Ich war erfreut, daß mir Ihre Ankunft vermeldet wurde.»
    «Ich doch gleichfalls.» Klaus Heuser verbeugte sich.
    «Wir sind beide ein bißchen älter geworden. Bei Ihnen ist’s Reife, bei mir Eis des Alters.»
    «Aber», meinte Klaus, «Sie sind jung geblieben, durch Ihr Werk.»
    «Der Charmeur. Unverändert.»
    «Charmant war ich nie, jedenfalls nicht mit Absicht.»
    «Ein bißchen dauert’s noch bis zum Essen», Katia Mann zog den Mijnheer Sumayputra mit sich fort.
    «Wo waren Sie?»
    «In der Welt.»
    «Ich auch.»
    «Viel ist nicht aus mir geworden. Kokosnüsse verschifft.»
    «Doch stehen Sie im Smoking hier. Und werden von dunklen Fittichen beschirmt.»
    «Die waren schon recht flatterhaft.»
    «Doch kühn gelebt.»
    «Südostasien kann zwanglos sein.»
    «Hier herrschen Bedrückung und Ängstlichkeit vor.»
    Wen meinte er? Das Land? Sich selbst?
    Beider Stimmen klangen belegt.
    «Was hatte ich Ihnen damals vorgelesen?»
    «Im Arbeitszimmer, nur für mich?»
    «Für den Triton, der weit hinausschwamm.»
    «Wie Jakob mit einem Linsengericht für Isaak seinen Bruder Esau um das Erstgeburtsrecht betrügt … und eine lustige Ballade über einen Türken. – Sie saßen am Schreibisch, ich auf meinem Stuhl.»
    «Die Beine recht leger übergeschlagen.»
    «Der Sommer war unglaublich heiß.»
    «Nur nicht zuviel Erinnerung, Klaus. Ihr Volumen will uns, wenn wir nachlässig werden, erdrücken. – Was wage ich gegen das Erinnern einzuwenden? Ich schnurre den Rest meines Lebens nur noch ab mit Reminiszenzen, Anwürfen und Ehrungen. Und bin so müde. Ich wandele durch die Galerie meiner Vergangenheit. Sie, trotz mancher Peinlichkeit, ist mein Eigentum.»
    Schon länger hatte sich die Aufmerksamkeit an den beiden gesteigert, so daß sie beinahe in der Mitte eines lockeren Kreises standen. Auch die Eltern Heuser tranken erstaunlich schweigsam. Erika Mann versuchte, sich auf ein Gespräch mit dem Pastor zu konzentrieren.
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