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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition)
Autoren: Hans Pleschinski
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zu erkennen, hatte sich einmal überm Mundwinkel gezeigt und sich dann wieder in Richtung Ohr verschoben. Die Armee Wenck, das letzte Aufgebot der Wehrmacht, war damals zumindest nicht in den Untergang Berlins marschiert – womit auch? –, sondern hatte nach einem Westschwenk zur Elbe vor den Amerikanern kapituliert. Andernfalls wäre Siemer, trotz einer Fersenverknorpelung im letzten Kriegswinter noch eingezogen, niemals in Düsseldorf gestrandet. Da der graue Erinnerungsstahl meist nicht spürbar war, lohnte auch eine Operation kaum. Nur heute wieder saß der Splitter am Nerv.
    Der Empfangschef und ehemalige Eigentümer des Cafés Kronprinz in Tilsit registrierte vor der Rezeption neue Invasoren, die nicht in die Weite und gepflegte Atmosphäre einer internationalen Ankunftshalle gehörten. Wegen der Sperrung der Hintereingänge wälzte sich jetzt das gesamte Lieferantenvolk an Sesseln und Tischen vorbei. Wenigstens waren die Teppiche im letzten Moment aufgerollt und beiseite geschoben worden. Noch verhältnismäßig unauffällig und beinahe charmant wirkten an diesem Alarmmorgen die Blumenmädchen, die durch den Haupteingang des Hotels in die Etagen gehuscht waren, um ihre Garben frischer Gladiolen dem Zimmerservice auszuhändigen. Nur wenige Blüten und Blätter hatten die eiligen Floristinnen auf Bodenplatten und Stufen hinterlassen.
    Nun aber gab der Klavierstimmer, der ausgerechnet am Blindgängertag seinen Termin wahrnahm, das Horchen an den Flügelsaiten auf und ließ den Daumen entnervt über alle Tasten gleiten, so daß ein unerschütterlicher Gast aus seinem Sessel fast erwartungsvoll zum Instrument blickte.
    Burschen vom Großmarkt schleppten Kisten voller Salat, Möhren und Kräutern an den Teppichröhren vorbei zum Küchentrakt. Ein Sack Kartoffeln hinterließ eine sandige Wolke. Den Gemüsejungen folgten zur üblichen Anlieferungszeit Fleischerlehrlinge mit leidlich abgedeckten Zinkwannen, aus denen jedoch einiges Blut von Kalbfleisch, erstklassigem Rind und Wild tropfte. Zumindest stand Hauspersonal mit Eimern und Lappen bereit, um die roten Spuren sofort aufzuwischen. Gegen Blut richtete nach einiger Zeit sogar Schrubben wenig aus. Herr Elkers, der einarmige Vormittagsportier, hatte am Hauptportal sein Walten eingestellt und klopfte sich neben der weit offenen Einfallsbresche Staub von der Brust. Gleichfalls in der falschen Richtung – nämlich nicht vom Hof, sondern von der Körner Straße her – rollten die Angestellten der Chemischen Reinigung Blaufärber zwei Garderobenständer mit Kleidern und Gästesakkos zur Verteilstelle im Wirtschaftstrakt. Ihnen wehte Zement von der gegenüberliegenden Baustelle nach. Die gereinigte Kleidung, darunter ein schwarzes Abendkleid mit Paillettengeglitzer, blieb durch moderne hauchdünne Kunststoffhüllen offenbar geschützt.
    Auch das noch!
    Oskar Siemer stützte sich mit beiden Händen neben der Rezeptionsglocke ab. Sein Assistent, der rundliche Herr Friedemann, dessen hochrotes Gesicht – entweder Bluthochdruck oder Hochprozentiges nach Dienst – völlige Fassungslosigkeit über den Lieferantenstrom zeigte, das Jüngste Gericht würde mit ganz anderen Turbulenzen aufwarten, trat neben seinen Vorgesetzen und flüsterte: «Türen?»
    «Ja, das sind Türen. Für die wurde es aber auch höchste Zeit.»
    Drangen Tischler oder Polsterer oder beide vereint in die Halle? Portier Elkers in weinroter Uniform gab seinen Posten auf und zog sich neben die Litfaßsäule mit dem Programm der Düsseldorfer Bühnen zurück. Mit Hilfe breiter Schultergurte bugsierte die Schar von Handwerkern schweres Rechteckiges herein. Auf der Seite, die Siemer und Friedemann sahen, waren die neuen Türen mit dickem seidigen Polsterstoff bezogen, der sich durch Messingknöpfe in Rhomben aufteilte. Durch solche Schalldämmung dringe kein Laut in die Suite. Ein Nobelpreisträger bedurfte der größtmöglichen Ruhe. Und insbesondere der alsbald erwartete. Der Gast galt als einer der empfindlichsten. Weltweit. Die Berühmtheit, so hieß es, gerate in fiebrige Alpdrücke, müsse zu Unmengen von Schlafpulver greifen, wenn der federleichte, wichtige Schlummer auch nur angehaucht würde. Doch die Direktion hatte für den eminenten Aufenthalt, denn anders konnte man es nicht nennen, weder Kosten noch Mühen gescheut. Die Doppelfenster waren renoviert und gegen mögliches Tröpfeln die Wasserhahndichtungen ausgetauscht worden. Ein Verwaltungsangestellter hatte in der Präsidentensuite sogar
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