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König Mythor

König Mythor

Titel: König Mythor
Autoren: Horst Hoffmann
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der Dunkelheit in Brand zu schießen. Nahir hatte befohlen, nur im äußersten Notfall mit Fackeln gegen die peitschenden Schlangen und ihre Ausgeburten vorzugehen, sich sonst aber in sicherer Entfernung zu halten und nur die Blasebälge zu bedienen. Auf diese Weise blieben die Krieger am Leben, doch sie konnten die Pflanzen nicht daran hindern, sich immer weiter über Leone auszubreiten. Längst war die ganze Ostmauer überwuchert und wirkte aus der Ferne wie ein Kamm eines dicht bewaldeten Hügels. Tief in der Stadt standen die Pflanzen, und der Zeitpunkt war abzusehen, zu dem sie den Königspalast erreichten. Nahir gab sich keinen Illusionen hin. Wollte er seine Krieger nicht bis zum letzten Mann opfern, so musste er sie spätestens in der kommenden Nacht über den Fluss in Sicherheit bringen.
    So konzentrierten sich die Anstrengungen der Verteidiger auch hauptsächlich darauf, die Ufer des Sarro von den Pflanzen des Bösen freizuhalten.
    Und Mythor und Hapsusch, König und Lebensgärtner, waren noch nicht aus dem Lebensgärtchen zurückgekommen. Nahir blickte von der Turmkammer aus nach Westen und sah den blutroten Feuerschein in der Ferne. Auch dort wurde gekämpft. Er wünschte sich, mehr Krieger zur Verfügung zu haben, und wehmütig dachte er an die tausend Mann, die König Lerreigen in die Schlacht gegen die Caer geführt hatte.
    Doch die Nacht ging vorüber, und das Licht des neuen Tages bannte erneut das unheimliche Pflanzenheer, das jetzt über die Hälfte der Stadt erobert hatte. Die Krieger waren viel zu erschöpft, um mit Feuer gegen die erstarrten Stränge und Chimären vorzugehen. Einige wurden von ihren Kameraden zum Palast und in die Notunterkünfte getragen oder auf großen Karren transportiert. Wieder gab es Tote zu beklagen, die auf ein Boot geladen und den Sarro hinuntergefahren wurden, wo die Totenweiber warteten, um sie zu beklagen und zu bestatten.
    Hauptmann Nahir sah ein, dass keiner seiner Krieger die kommende Nacht überstehen würde, wenn er sie nochmals in den Kampf schickte. Schweren Herzens entschloss er sich, Leone zu räumen. Die letzten Boote nahmen die Geschwächten auf und brachten sie zu den weit außerhalb wartenden und bangenden Frauen und Kindern.
    Nahir selbst blieb bis zum Nachmittag in der Stadt und starrte vom Türmchen aus auf das Bild des Grauens. Wo noch vor Tagen stolze weiße Häuser gestanden hatten, wo Menschen frohen Herzens und unbeschwert die Straßen gefüllt hatten, streckten nun die Pflanzenstränge ihre tödlichen Spitzen in den Himmel. Trotz des immer heftiger werdenden Windes waren sie starr.
    Dann stieg der Hauptmann der Palastwache von seinem Turm herab, durchschritt ein letztes Mal die leeren Hallen und Gänge des Palastes und stieg in den Sattel seines Hengstes.
    Kein Boot wartete mehr auf ihn. Nahir ritt zum Westtor, dann weiter zum Lebensgärtchen.
    Nur einmal hielt er sein Reittier an. Das war, als er am Rande eines Parks zwei zarte, junge Pflänzchen aus dem Boden wachsen sah, nicht höher als ein Männerarm. Er wusste nicht, was ihn verharren, absteigen und die Pflänzchen lange betrachten ließ, die wuchsen, während seine Blicke auf ihnen ruhten. Es gab eine solche Pflanzenvielfalt in und um Leone, dass Nahir längst nicht alle kennen konnte.
    Der am Vorabend aufgekommene Wind blies stetig von Westen her, und so sagte sich Nahir, dass er den Samen irgendeiner Pflanze aus dem Lebensgärtchen in die Stadt getragen hatte. Damit traf er die Wahrheit annähernd, doch noch war er weit davon entfernt, den richtigen Schluss zu ziehen.
    Er konnte auch nicht ahnen, dass sich überall in Leone in diesen Stunden ähnliche Pflänzchen entwickelten und dass um sie herum die Dämonengewächse abzusterben begannen. Für Nahir war die Stadt verloren, das Werk von vielen Generationen hervorragender Baumeister.
    Entsprechend war seine Stimmung, als er durch das verlassene Westtor ritt. Er blickte sich nicht mehr um, kam sich vor wie einer, der einen ihm anvertrauten, unendlich kostbaren Schatz im Stich gelassen, ja verraten hatte.
    Als der Abend kam, war er beim Tempel des Lebensgärtners, wo Hapsusch, Viliala, Buruna und Lamir noch immer auf die Rückkehr des Königs warteten. Nur Buruna war zu stolz, offen zu zeigen, dass sie nicht mehr mit dieser Rückkehr rechnete.
    Eine weitere Nacht verging, ein weiterer neuer Tag brach an, ohne dass sich ein Hinweis auf das Schicksal Mythors gefunden hätte.
    Hapsusch, Buruna, Viliala und Lamir standen unter dem Baum des
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