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König Mythor

König Mythor

Titel: König Mythor
Autoren: Horst Hoffmann
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um das Licht der Sonne zu schlucken, vielleicht sogar, um das Licht, das die Dämonenpflanzen noch bannte, zu ersticken.
    »Es ist ein schlechtes Zeichen«, murmelte der greise Lebensgärtner nun wieder. Die ganze Zeit nach seiner Rückkehr zum Tempel, wo Buruna ihn gepflegt hatte, war seine Miene wie versteinert gewesen. Sorge und Furcht sprachen aus seinem Blick, als er hinübersah zum Baum des Lebens, dessen Krone im Nebel verschwand.
    Buruna stellte sich neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter. Sie fand nicht die Worte, um ihn zu trösten. Auch ihr Herz war voller Furcht, denn mehr als ein halber Tag war nun vergangen, seit Mythor in den Heiligen Baum gestiegen war.
    So warteten sie auf die Nacht. Die Feuer in den Kesseln brannten. Pechfackeln lagen aufgehäuft bereit, und die Blasebälge waren in Stellung gebracht. Im Lauf des Tages waren weitere Krieger aus der Stadt gekommen und mit ihnen Hapsuschs Diener - alle außer einem. Malmand war seit zwei Tagen von keinem der anderen mehr gesehen worden, und Buruna musste Hapsusch nicht erst sagen, dass sie ihn zusammen mit Luxon und Kalathee im Lager der Akinlayer gesehen hatte.
    Ein leichter Wind kam auf und blies Nebelschwaden über das Land. Schon dunkelte es, und die ersten Dämonenpflanzen begannen sich ächzend zu regen, als einer der Tempeldiener, die von Hapsusch zum Baum des Lebens geschickt worden waren, im Laufschritt aus dem Nebel auftauchte.
    Er hielt etwas in beiden Händen, andächtig und vorsichtig, als handle es sich um einen großen Schatz. »Sieh, Meister«, rief er. »Sieh, was vom Heiligen Baum fällt!« Und er reichte Hapsusch den Zapfen.
    Der Greis nahm ihn entgegen, wog ihn in der Hand und betrachtete ihn mit geweiteten Augen von allen Seiten. Ehrfurcht trat in seinen Blick, und lange schwieg er, bevor er Viliala, Lamir und Buruna ansah. Seine Hände zitterten leicht, und seine Stimme klang tonlos, als er sagte: »Ein großes Wunder ist geschehen. Der Baum hat seinen Samen abgegeben.«
    Während die anderen ihn noch mehr oder weniger verständnislos ansahen und lediglich ahnten, dass etwas geschehen war, was für sie alle von unüberschaubarer Bedeutung sein musste, hielt Hapsusch den Zapfen in die Höhe, dem erwachenden dämonischen Leben entgegen, und rief laut und mit fester Stimme: »Mögen die Winde den Samen in alle Richtungen tragen! Möge die Saat des Lebens aufgehen überall dort, wo Finsternis herrscht. Wahrlich, ihr Dämonen, ihr habt den Baum des Lebens noch nicht besiegt!«
    So blieb er stehen, die Hand mit dem Zapfen weit in die Höhe gereckt, während die Krieger den Kampf gegen die wütend angreifenden Pflanzen des Bösen wiederaufnahmen.
    Und Mythor kehrte nicht zurück.
    Buruna setzte sich auf eine roh gezimmerte Holzbank vor dem kleinen Tempel und starrte in die Flammen, sah die peitschende grüne Mauer, hörte das Ächzen und Singen der Dämonenpflanzen, doch sie nahm es kaum wirklich wahr.
    Sie dachte an Mythor, der nun irgendwo in den schwindelerregenden Höhen des Heiligen Baumes steckte, vielleicht hilflos, vielleicht tot. Buruna mochte den Gedanken nicht weiterdenken. Aber war es ein Zufall, dass gerade jetzt der Same des Baumes zu Boden fiel?
    »Überall um den Stamm herum geschieht es«, antwortete Hapsuschs Diener auf eine entsprechende Frage. »Die ersten Früchte müssen schon gefallen sein, bevor wir kamen. Sie haben sich tief in den Boden gebohrt und goldenen Samenstaub abgegeben. Und oben im Baum rasen die Januffen.«
    Ja, dachte Buruna bitter und verzweifelt. Und Mythor war vielleicht unter ihnen, wartete vergeblich auf Hilfe, dort, wo noch kein anderer Mensch seinen Fuß hingesetzt hatte. War sein Tod der Preis für das Wunder?
    Buruna schüttelte schweigend den Kopf. Nein, machte sie sich klar, er war nicht der erste, der den Baum bestieg. Luxon tat es vor ihm. Aber auch von diesem fehlte jede Spur.
    *
    Es war die dritte Nacht des Grauens. Hauptmann Nahir stand in der kleinen Kammer des höchsten Turmes des Palastes und schickte unentwegt Kuriere in jene Teile der Stadt, in denen gekämpft wurde - wenn er nicht selbst an diese oder jene Pflanzenfront ritt und den Entkräfteten und Verzweifelten allein durch sein Auftauchen neuen Mut gab. Viel konnte er selbst nicht tun. Bei den wenigen Kriegern, die ihm zur Verfügung standen, musste sich die Verteidigung der Stadt darauf beschränken, tagsüber auf einem breiten Streifen vor den Dämonenpflanzen trockenes Stroh auszubreiten, um diese nach Anbruch
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