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König Mythor

König Mythor

Titel: König Mythor
Autoren: Horst Hoffmann
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anderen empfinden. Eine seltsame Ruhe war in ihm. »Du willst mich führen?« fragte er. »Wohin?«
    Erneut zeigte das Wesen erregt auf einen Durchgang, der wieder vom Stamm wegführte, und nun schnatterte er leise. Die anderen sahen Mythor erwartungsvoll an. Plötzlich wirkten ihre Gesichter fast menschlich, und in ihren Augen stand eine stumme Bitte geschrieben.
    Aber schon verstärkten sich die Signale des Helmes wieder. Mythor war unschlüssig, bis sein Führer erneut gegen die Klinge schlug.
    Es mochte für ihn ohne Bedeutung sein, was sie ihm offensichtlich zeigen wollten. Noch deutete nichts darauf hin, dass der Baum des Lebens durch die vordringenden Wurzeln der Dämonenpflanzen Schaden nahm, und wenn er nicht zum Stamm vorgelassen wurde, so würde auch Luxon weiter oben auf aussichtslosem Posten stehen.
    Vielleicht durfte er auch nur deshalb nicht seinen Weg gehen, weil er vorher etwas Bestimmtes sehen sollte.
    »Also führt mich«, sagte Mythor mit einem Seufzer.
    Sein Führer schnatterte aufgeregt, ließ seine Hand los, war mit einem Satz auf der grünen Treppe, über die Mythor gekommen war, und hockte sich erwartungsvoll blickend dorthin.
    Mythor folgte ihm.
    *
    Die Januffen führten ihn zu einem weit aus der Krone reichenden Ast und vermieden es dabei, ihm ihr »hinteres Gesicht« zuzukehren. Je weiter er sich vom Stamm entfernte, desto heftiger wurden die Einflüsterungen des Helmes. Nur schwer waren sie zu ignorieren.
    Plötzlich öffnete sich das Laubdach. Mythor trat aus einer Kammer heraus und fand sich völlig unverhofft auf einer langen, schmalen Plattform aus Laub und Ästen wieder, die wie eine Zunge aus der Baumkrone herausragte. Über ihm waren nun nur Äste, und zum erstenmal, seitdem er an der Luftwurzel in den Baum geklettert war, sah er wieder den Himmel.
    Er erschrak. Der Nebel hatte sich weiter verdichtet, und nur schattenhaft war der Boden zu erkennen, als Mythor sich vorsichtig über den Rand der Plattform beugte. Ein plötzliches Schwindelgefühl ließ ihn schnell ein paar Schritte zurücktreten, auf die Januffen zu, die ihn ungeduldig erwarteten. Nicht länger saßen sie still da und starrten ihn an. Sie hatten zu springen begonnen, und die Laubplattform hob und senkte sich bedrohlich unter Mythors Füßen.
    Und nun sah er, was sie ihm hatten zeigen wollen. Von den Ästen über ihm hingen Dutzende von Früchten herab. Sie sahen aus wie Tannenzapfen, hatten jedoch die doppelte Größe. Immer mehr von ihnen erspähte Mythor, und nur hier, am Rand der Krone, schienen sie zu wachsen.
    Die Januffen erstarrten, als er die Hand hob und einen der Zapfen berührte. Mythor zog schnell die Hand zurück. Würden sie es als Frevel betrachten, wenn er ihn abpflückte?
    Das genaue Gegenteil schien der Fall zu sein. Wieder begannen die Januffen wild in die Höhe zu springen und bedeuteten ihm durch Gesten, dass er den Zapfen pflücken solle.
    Zögernd griff Mythor danach, schloss seine Hand um die Frucht und riss sie mit einem Ruck ab, mühsam darum bemüht, auf der schwankenden Plattform sein Gleichgewicht zu halten.
    Im nächsten Augenblick glaubte er, einen großen Fehler gemacht zu haben. Ein Januffe sprang ihn an, und bevor Mythor zur Seite ausweichen konnte, hatte der Baumbewohner ihm den Zapfen aus der Hand gerissen und stopfte ihn in eine der Taschen der weiten Hose. Heftig gestikulierend zeigte er auf die anderen Zapfen und streckte Mythor alle fünf Finger einer Hand entgegen.
    »Ich soll fünf Zapfen pflücken?« fragte Mythor verwundert. »Noch fünf?«
    Der Januffe schnatterte aufgeregt und nickte heftig wie ein Mensch. Er deutete auf die Baumfrüchte, dann auf Mythors Taschen.
    Immer noch unsicher, begann Mythor, der Aufforderung nachzukommen. Fünf Zapfen pflückte er ab und verstaute sie sorgfältig.
    Kaum hatte er dies getan, da glaubte er, rings um ihn herum breche die Hölle los. Als ob er den Wächtern des Baumes ein Zeichen gegeben hätte, verfielen sie wieder in Raserei und sprangen nach den überhängenden Ästen, klammerten sich daran fest und schüttelten sie. Wie Besessene fielen sie über die Zapfen her und verschlangen alles, was in ihrer Reichweite war und in ihre Schnauzen Passte. Die Reißzähne zerkleinerten die Früchte wie feine, scharfe Messer. Mythor rannte zurück und beobachtete das Ganze von der sicheren Baumkammer aus. Die Plattform schwang heftig auf und nieder, und nur die Januffen mit ihren ungeheuer beweglichen Händen und Greiffüßen konnten sich an den
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