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König Mythor

König Mythor

Titel: König Mythor
Autoren: Horst Hoffmann
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auf allen vieren, obwohl sie in ihrer Körperform annähernd den Menschen glichen.
    Kleine, listige Augen saßen in einem länglichen Gesicht, das in einer Schnauze mit schreckenerregenden Reißzähnen endete. Ihre Arme waren fast doppelt so lang wie die Beine und ungemein gelenkig. Mit ihnen schwangen sie sich durch den Baum und trommelten wild auf das Laub unter Mythors Füßen, wobei sie ihm ausnahmslos ihr Gesäß zuwandten, das »hintere Gesicht«. Noch versuchten sie also, ihn dadurch willenlos zu machen, und griffen nicht direkt an. Immer noch schrien und kreischten sie fürchterlich. Fieberhaft überlegte Mythor, wie er diesem Spektakel ein Ende bereiten konnte, ohne gleich die ganze Meute gegen sich zu haben und sich ihrer Reißzähne erwehren zu müssen. Er konnte nicht für immer mit geschlossenen Augen hier verweilen und darauf warten, dass diese wilden Gesellen die Sinnlosigkeit ihres Treibens erkannten.
    Doch das Gekreische trieb ihn zum Wahnsinn! Er blinzelte, sah kurz eines der rotschimmernden »Gesichter« vor sich und versetzte dem Januffen, zu dem es gehörte, einen Tritt, der ihn mit dem Kopf in die Laubwand beförderte.
    Augenblicklich hörte das Kreischen auf. Mythor riss die Augen auf, als die Januffen - ein halbes Dutzend mochten es sein - herumfuhren und ihre Zähne fletschten.
    »Hört auf damit!« rief er, ohne zu erwarten, dass sie ihn verstanden. »Hier!«
    Mythor holte das Fläschchen aus der Tasche, doch er brauchte es nicht mehr.
    Die Januffen sprangen wütend auf und ab, einige kreischten wieder und zeigten ihm die Zähne. Aber sie griffen nicht an. Sie sprangen hin und her, hangelten sich an Ästen über ihn hinweg und schüttelten die Fäuste. Kein einziger schlug dabei nach ihm.
    Im Gegenteil: Nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hatten, kamen sie neugierig heran, beschnupperten ihn und bestaunten seine Klinge und den Helm der Gerechten. Derjenige, der mit dem Kopf im Laubvorhang gelandet war, kam zurück und rieb sich den Schädel und die weiche Schnauze. Dann setzten sie sich im Kreis um Mythor herum. Kein einziger drehte ihm mehr die Kehrseite zu.
    Mythor atmete auf, als er begriff, dass es sein Duft war, vor dem sie Respekt hatten. Alton und der Helm der Gerechten mochten das Ihre dazu tun, dass die Baumbewohner ihn nun fast andächtig anstarrten. Tatsächlich glich der Geruch, den Mythor durch Hapsuschs Bestäubung erhalten hatte, dem Körpergeruch der Januffen auffallend.
    Und ausgerechnet jener, der Mythors Stiefel an seiner vielleicht empfindlichsten Stelle zu spüren bekommen hatte, stand nun auf, kam auf ihn zu, strich mit einer der dunklen, langen Hände über das Gläserne Schwert und klopfte dann, verhaltene Laute von sich gebend, auf Mythors Brust.
    Mythor wich nicht zurück. Für das seltsame Benehmen des Januffen konnte es nur eine Erklärung geben: Diese Geschöpfe verfügten über etwas, das sie die Besonderheit seiner Ausrüstung erkennen und schätzen ließ, denn genau das schienen die Gesten des behaarten Burschen auszudrücken. Eine Art tierischen Verstand mochten sie besitzen, dachte Mythor, gerade genug, um zu sehen, dass er nicht irgendeiner war, der in den Baum des Lebens stieg, sondern einer, dem sie, die Wächter des Heiligtums, den Weg frei zu machen hatten.
    Mit Sicherheit war es nicht nur der von Mythor ausgehende Geruch der Januffen, der sie nun verharren ließ. Wieder berührte das Wesen die Klinge, diesmal an der Spitze. Es stach sich und zuckte zurück. Aber es schrie nicht auf, sondern betrachtete wie ein Kind das dicke, dunkelrote Blut, das aus einem Finger quoll, und auch die anderen scharten sich um ihn und bestaunten die winzige Wunde.
    Und Luxon? fragte sich Mythor. Hapsusch hatte es nicht ausgesprochen, aber er war sicher, dass auch sein Gegenspieler vom Lebensgärtner bestäubt worden war. Reichte dies aus, um ihn zu schützen?
    Weitere Januffen tauchten auf. Auch sie verfielen in Raserei, als sie Mythor sahen. Dann aber wurden sie ruhig und starrten ihn ebenso andächtig und mit einer gewissen Scheu an wie ihre Artgenossen.
    »Schön«, sagte Mythor. »Wir verstehen uns also, und ihr werdet mich nicht daran hindern, weiter in den Wipfel des Baumes zu steigen.«
    Sie saßen nur da und blickten ihn aus unergründlichen Augen an.
    Mythor nickte, steckte Alton ganz langsam wieder in die Scheide zurück und suchte nach der nächsten Laubtreppe. Der Helm der Gerechten wies ihm die andere Richtung, aber da gab es kein Durchkommen, wollte er
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