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König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

Titel: König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)
Autoren: Andrea Winkler
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Auftrag solchen Wissens hinwegsetzen? Ich darf doch hier nicht einfach meinen Text sagen, meinen Text wird es nie gegeben haben, erstens, weil es nämlich ganz im allgemeinen keinen eigenen Text mehr gibt, (»alles, alles schon da gewesen, alles gleichviel«) und zweitens, weil die Vergessenheit, wie sie hier so professoral gepflegt wird, schöner ist als zu wiederholen, was Dichter und Denker bereits gesagt haben. – Danke, ich weiß es, ich weiß es wirklich und möchte darum noch einmal nichts werden. Nicht ein Nichts, sondern nichts, ich habe, mit Verlaub, den Unterschied kennen gelernt. Ich suche mit meinen Augen das Fenster im Büro des Vorsitzenden, der sich jetzt von Frau Professor Stein darüber aufklären lässt, dass sie zu der Frage nach dem Ja und dem Nein einmal einen interessanten Aufsatz verfasst habe, in dem sie zu ergründen suchte, von wem der Dichter hier abgeschrieben hätte. Draußen vor der Tür warten Jakob und meine Schwester mit einem großen Blumenstrauß und dem Zimmergedicht aus dem ewigen Reisekoffer. Ich sehe mich nach dem Reisenden um, ich wünschte so sehr, er wäre jetzt, jetzt, wo ich an Professor Icks’ Bürotür vorbeigehen muss, bei mir, und sagte mir was Frohmachendes ins Ohr. »Lina Lorbeer will lieber immer Mundschenk bleiben –.« Still, Reisender. Still und noch einmal still.
    Lieber Jakob, stell Dir vor, ich fuhr ans Wasser, an den Stadtrand, und bestand beinahe die große Prüfung. War’s aufregend? Irgendwie komisch, sehr, sehr komisch. Und Du und meine Schwester habt mit Blumen auf mich gewartet vor der Tür, nur Agnes war nicht mit Euch gekommen. Auf dem Nachhauseweg kaufte ich mir selber Rosen, nichtssagende rote Rosen, aber kaum, dass ich sie auf meinen Tisch stellte, verloren sie ihre Blätter. Was hätte ich anderes tun sollen, als sie einsammeln, auf einen Teller legen und auf die Fensterbank stellen? Der erste Windstoß wird sie ins Zimmer vertragen, und mir wird das gefallen: verlorene Blütenblätter bedecken den Boden, jetzt, wo die Silhouette meiner Nachbarin fort ist und nicht mehr wiederkommen wird. Ich sehe Dich grade vom Küchentisch aufstehen und zum Fenster gehen, wo Du die Lamellen der Jalousien ein wenig auseinander ziehst und wie durch ein Guckloch in den kleinen Hof schaust. Jemand recht Laub, mitten im Winter, und nach jedem Strich seines Rechens sieht er zum großen, grauen Himmel auf, weil es gegen die Ordnung verstößt, dass immer noch kein Schnee gefallen ist. Und morgen liegt einen Meter hoch Schnee, und während er den Schnee an den Randstein schaufelt, sieht er zum Himmel auf und grämt sich über die ewige Anstrengung des Schneeschaufelns. Ja, das ist alles, und womöglich gelogen, denn selten sieht ein Mensch zum Himmel auf, egal, ob er blau, grün, rosa oder gelb ist, ob Schnee aus Wolken fällt oder Laub von den Bäumen. An den Bäumen mangelt es ja auch, das sieht doch jeder. Aber Du stehst trotzdem da am Fenster, oder? Zumindest noch eine kleine Weile, so lange noch, bis der Lieblingsprinz aus dem Buch, das aufgeschlagen auf dem Küchentisch liegt, zum Spaß Angst um sich bekommt. Lina

XXV.
    In der drittletzten Reihe von hinten sitze ich, links außen, wie immer, und flankiert von zwei Türmen aus Büchern, die nicht sehr regelmäßig übereinander gestapelt sind. Wenn Buch um Buch ganz gerade übereinander lägen, würden die Türme umfallen, und solches Donnern und Grollen hier, in der Bibliothek, will ich mir, mögen Fälle und Stürze auch ihr Gutes haben, gar nicht erst vorstellen. Außerdem muss es nicht sein, dass jemand sieht, wie ich einen Lebenslauf verfasse, probeweise, so, wie ich probeweise ja auch hin und wieder in den Hörsaal gehe, wenn niemand darin ist, und mich im Sprechen versuche. Es hilft nichts. Für den Fall, dass ich Dichter, Moderator oder Professor werde, muss mehr als A-A-A über meine Lippen kommen. Und kann ich etwa immer auf der Schaukel sitzen und da so hin und her und vor und zurück trippeln, als ob’s mit meiner Kindschaft nicht als Kind schon vorbei gewesen wäre, ja, als ob sie nicht buchstäblich im Traum verloren gegangen wäre, durch die Hintertür?
    »Ich, Lina Lorbeer, bin am Institut für Gedankenkunde und Verstehen eingeschrieben, und flattere, naturgemäß in großer Unsicherheit, überaus gern um den magischen Kreis von leeren Stühlen. Das erinnert mich an die Spiele aus den Kindschaftstagen: Alle gehen um den Sesselkreis herum, aus dem von Mal zu Mal und Runde zu Runde ein Sessel
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