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König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

Titel: König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)
Autoren: Andrea Winkler
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kurzen Augenblick. Ja, wenn er von sich aus nichts gehört hätte? Der schläft zuweilen eben auch und wartet darauf, dass die Zeit einen Sprung macht. Soll ich einen Sprung machen, als wäre ich so eine Zeit? (Und Du, Jakob, wirst mich »einführen«, wenn ich als aus dem Buch heraus gerissener Kalenderspruch neben Dir auf dem Podium sitze.) Ich hab’s probiert, Jakob, ich bin gesprungen, und ich sag Dir, das exakte Landen fiel mir gar nicht leicht, immer kam ich wie ein Gummiball am Boden auf und musste noch weiter zur Seite hüpfen. Aber gesprungen bin ich, und ich werde gewiss wieder springen, und eines Tages hinaus zur Tür, hinaus zum großen Tor und Frau Professor Stein in die Arme, die gerade zurückkommt von einer kleinen Familienfeier mit den Angehörigen des Instituts. Und dann werde ich rufen: Von allen möglichen dreizehnten Feen auf diesem wunderbar kugelrunden Erdball werden Sie mir die allerliebste gewesen sein, denn Sie haben mich, fast unmerklich, zum Schlafen gezwungen, ja, zu einem hundertjährigen Schlaf! Und schlafen, Frau Professor Stein, ist schöner als an der großen langweiligen Feier teilzunehmen, und weniger erschöpfend, als vor dem König seinen eigenen Fächer zu spielen und dessen Falten tanzen zu lassen, auf dass ihm ein Licht aufgehe, nachdem er umgekippt ist. Und da ich vor Erschöpfung halbtot bin, gehe ich jetzt nach Hause, wo mein Ich, wenn es noch auf es ankäme, gerne auf einem Blatt einen Strich zum Horizont spannte. Gute Nacht! Lina

XXIV.
    »Glauben Sie dem, was Sie hier geschrieben und abgegeben haben, Lina Lorbeer?« Professor Icks sieht an mir vorbei in den Hof. Er steht auf, mit den Händen in den Hosentaschen, und stellt sich vors Fenster. Ich lehne an der Regalwand und lasse die Schultern sinken und den Blick sinken. Aber was meint er denn? Ich mag ihn nicht stören in seiner Versunkenheit, seiner Stille, ja, mir ist, als ob eine große, dunkle Ruhe über ihn gekommen wäre, mitten in der Frage. »Man steht am Ufer und schaut ins Wasser, und das Wasser plätschert einem ins Ohr, dass so nun einmal das Leben leider nicht sei, das Leben, so hin- und herschaukelnd wie ein Floß, so beweglich, so wenig zu unterbrechen wie das Wasser, das immerfort rinnt und rinnt. Wenn es sich wenigstens irgendwo kräftig und ordentlich anstaute, das viele Wasser, und endlich ein Unglück geschähe! Aber nein! Das Unglück umkreist dich leise und schwappt so wellenartig über dich. Es ist da, ohne gekommen zu sein. Für derart umnachtete Handlungen könnte ich das Unglück zur Tür hinaus katapultieren. Und dann will so ein Figürchen am Ufer stehen, so eines, das man, wer weiß, mit einem Schlag vernichten könnte, und sich vorsagen, gut, lassen wir es, da es ohnehin zerbrochen ist, einfach fortgehen. Ohrenschmerzen bekomme ich da, ganz tief innen, in der innersten Rundung meines Gehörgangs. Und dann geht sie einfach, wie gezogen, geht, weil ein angeblich Reisender sie an der Schulter streift, und während sie über den Fluss mit der Fähre übersetzt, als ob sie auf Reisen in den fernsten Gefilden der Welt wäre, und der Wind ihre Augen tränen lässt, durchströmt sie irgendein jähes Andenken, ein lautloser Ruf, so tief, dass sie den Wunsch verspürt, darin aufzuhören, darin gänzlich nichts zu werden, ein Tropfen, der mit nichts beschäftigt ist, als ins Meer zu fallen und sich dort um keinen einzigen der Kreise zu kümmern, den er zieht. Da summt mir doch irgendein Ton tief im Ohr, wissen Sie das? Und von wie weither er kommt, wissen Sie das auch?« Ich schüttle den Kopf, und als ich mich zur Bürotür wende, greift Professor Icks nach meiner Hand, und zieht mich zu sich, und schiebt mir das Haar hinters Ohr und flüstert mir eine Frage hinein: Ob ich schon so willenlos zur Welt gekommen sei? –
    Unten im Hof ist es sehr kalt, nur Flora sitzt auf einer der Bänke und verspeist ihre Jause. Sie nimmt den Kaffeebecher zur Hand und schaut hinein, sie stellt ihn weg und schaut wieder hinein. Ich bin auserwählt, murmle ich den Steinköpfen ins Ohr, ich bin auserwählt, in Professor Icks’ Büro ganz zu vergessen, wer ich bin und was ich wollte und wohin mich meine Einschreibung hier bringen wird. Ins wahre und wirkliche Leben, hinaus aus dem Traum, zurück zu meinen Tagebüchern, in mein Zimmer, auf die Straße hinaus, mit einem Brief in der Hand. Lina Lorbeer will lieber immer Mundschenk bleiben, als mit Frau Professor Stein in einem Bunde und Bote sitzen! – Spotte nicht,
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