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König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

Titel: König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)
Autoren: Andrea Winkler
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Vielleicht mag ich mich ein anderes Mal sorgen und nur auf dem Sofa oder vorm Fenster, wenn ich nach meiner Nachbarin Ausschau halte oder an Jakob schreibe, denn soviel ist sicher: Um Jakob zu schreiben, brauche ich nicht zwingend eine Zukunft, zumindest keine ganze, keine so wirklich in Aussicht gestellte, wie Flora sie nun schon erworben hat. – »Aber Ihnen, Lina Lorbeer, hab ich doch die Zukunft zuerst angeboten? Sie wollten ja nicht, Sie sind ja so hochmütig, Ihr ganzes Wesen ist Hochmut und Hinterhalt.« – Ja, Frau Professor Stein, mein ganzes Wesen ist Hochmut und Hinterhalt. Und jetzt ersuche ich Sie, mich nicht auf meinem Nachhauseweg zu verfolgen, denn auch jemand, dessen Büro kein Licht auf die Straße wirft, hat das Recht, nach Hause zu gehen. – »Sie werden die Welt schon noch kennenlernen, denn die Welt schert sich nicht um Ihre Empfindlichkeiten und Ihr gekünsteltes Leisesein. Purer Kitsch ist das, ein einziges Klischee. Schauen Sie sich doch einmal im Spiegel an, wie Sie ausschauen und was Sie für ein sinnierendes Gesicht machen? Wir haben schon genug von solchen Gesichtern gesehen. Und ich möchte Ihnen sagen, dass es mit den Wenigsten von ihnen ein gutes Ende genommen hat.«
    Nein, nein, Einbildung! So spricht niemand, niemand. Nein. Nein. Keinem, der mit dem schönen Denken befasst ist, kommen solche Gehässigkeiten über die Lippen, das ist nur meine Phantasie, die mir heute selber ganz fremd ist. Ich erkenne dich nicht wieder, Phantasie, unheimlich bist du mir, entsetzlich und fürchterlich und langweilig und weit, weit daneben. Ich bin heute nur ein Stück von mir, ein verkümmertes, trauriges, dummes, das nirgendwohin reicht und von gar nichts Gutem und Großem ergriffen und mitgerissen wird. Fernab aller Ströme, nicht einmal fähig, übereinstimmend »schade« oder »leider« zu sagen. Schade, schade, leider, leider, aber ich fühle weder ein »schade« noch ein »leider«, ich fühle nämlich nichts, gar nichts, und das sollte nicht erlaubt sein. Kann in solcher Abwesenheit nicht leicht ein Unglück geschehen? Unglück, bist du noch da?

XXIII.
    Drüben geht kein Licht mehr an, auch nachts nicht, die Silhouette ist unsichtbar geworden und hat wohl das Weite gesucht. Nichts auf der Welt sollte leichter sein, als sich von einer Silhouette zu verabschieden, die vor einem von Kleidern verhangenen Spiegel niemanden darum bittet, aus allen prüfenden Blicken für immer entlassen zu werden, und es nicht mehr geschafft hat, zum Tee vorbei zu kommen. Ich vermisse sie aber. Haben nicht auch leibhaftige Unwirklichkeiten das Recht, einem dringend zu fehlen? Zumal, wenn sie in jemandes Nacht hinüberstrahlen und dort mildes, verschwommenes Licht machen, wo vor lauter Nachdenklichkeit die Dämmerung beinahe ein Dauerzustand geworden ist. Ein mäßig glänzender Widerspruch, und Professor Icks, da bin ich sicher, wird ihm einen Sinn ablauschen, einen verschwindend kleinen, und das wird der größte sein. Was ich immer noch für Höffnungen habe! Meine Höffnungen werden noch meine mangelnde Zukunft überleben, die daraus folgt, dass mein ganzes Wesen Hochmut und Hinterhalt ist, weshalb ich lieber nicht Flora nachfolge und in Professor Steins Dienste trete. Alles in mir sagt, dass es überaus schlecht enden würde, und wozu ein schlechtes Ende provozieren? Ich will ein gutes Ende, eines, mit dem ich ein bisschen bleiben kann, was ich immer war, keines, mit dem alles, alles in mir sterben muss. Das ist vielleicht ein hochmütiger Wunsch, zumal für jemanden, der sich doch auch einbildet, nichts zu sein wäre schön, nichts oder wenigstens so wenig wie meine Nachbarin, wenn sie auf- und davon geht, und – irgendeine Ahnung tobt da in mir – für niemanden mehr einen Zettel auf dem Tisch zurück lässt. Womöglich gab’s ja gar niemanden? Mich gab’s, aber davon wusste sie nichts. Also? Also werde ich weiterhin ins Institut gehen, und mich in den Gedankenvorlesungen davon überzeugen lassen, dass es mehr zu denken gäbe, als weshalb meine Nachbarin plötzlich auf und davon gegangen ist, von heute auf morgen, ohne lange Vorbereitungen zu treffen. Das sind schöne Einbildungen. Was steht aber wirklich an? Richtig, eine Prüfungsarbeit bei Professor Icks, eine, die mich ganz in meiner Gegenwart trifft. Bin ich nicht gegenwärtig? Und deshalb hier eingeschrieben, um meine Gegenwärtigkeit zarter werden zu lassen? Ich phantasiere schon wieder, denn ich wusste ja nichts, nichts von den Wünschen, mit
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