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König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

Titel: König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)
Autoren: Andrea Winkler
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denen ich hier eingetreten war. Und Gegenwärtigkeiten wollen vielleicht nicht zarter, sondern unmittelbarer werden, und davon schwimmen, zumindest hin und wieder oder aber wenigstens, wenn ich schreibe, und sei’s auch nur eine Prüfungsarbeit am Institut für Gedankenkunde und Verstehen . Was schreibt Professor Icks da an die Tafel?
     
    Gesetzt den Fall, es käme noch an auf mich, und Trennungen, Brüche und Abschiede wären kein bloßer, für alle Zeiten hinlänglich erledigter dichterischer Einfall, sondern wahres und wirkliches Leben, wie –?
    Die Kreide bricht ab, und Professor Icks wäre nicht Professor Icks, wenn er nicht den Kreidenbruch für einen Wink des Schicksals halten würde, einen notwendigen Zufall, der ihm und uns zu verstehen geben soll, dass wir uns die Frage selber zu Ende stellen müssen. So wie sie jetzt gestellt sei, stürze sie beinah in einen Abgrund, und bitte, wer das wolle –.
    Meine herzallerliebste Figur mit dem Allerweltsnamen und der sonderbaren Ansicht, dass das Leben womöglich auch in seiner Fürchterlichkeit etwas von einem Märchen habe, legt sich lieber in einen Kerker und schreibt ein paar Träume auf, als dass sie sich verabschiedet. Aber womöglich ist das ja ihr Abschied? Niemand hat das Recht, meiner Figur einen außerordentlich klaren Verstand abzusprechen, ja, ich wage zu sagen, sie hat gewissermaßen die Gabe, die Dinge und ihr eigenes Antlitz in großer Genauigkeit zu erkennen. Das ist es ja! Kann solche Genauigkeit nicht schon ein kleines Verhängnis bedeuten? Denn kein Antlitz, möge es sich auch im längst von Kleidern und Kostümen verhangenen Spiegel gar nicht mehr wieder sehen, wäre so klar, dass nicht eine kleine Unklarheit darin umherziehen wollte, und in derart hin- und hergehender Bewegung kann schwerlich zur Ruhe kommen, was sich verabschieden möchte. Und braucht nicht Ruhe und Mut und Entschiedenheit, wer fühlt, dass er dahin schwinden lassen muss, was zerbrochen ist? Ja, man könnte es in einen Fluss oder Strom legen und ihm nachwinken und höffnungsvoll zurufen, wir werden uns in der Unendlichkeit wieder begegnen und uns dort still umarmen und vereinigen. Aber ach. Was ist die Unendlichkeit gegen ein Zimmer mit einem offenen Fenster, einem Schreibtisch und einem Sofa, auf dem man liegen und träumen kann. Diese Träumerei! Da sinken meiner Figur, während sie vorm Strom steht und gleich alles Zerbrochene hineinlegt, die Schultern und der Mut, und sie möchte sich ein Floß bauen und dem Zerbrochenen hinterher segeln und es herzen. Steht sie jetzt etwa immer noch da, ganz zurück gehalten in ihrer absonderlichen Treue zum Zerbrochenen? Aber plötzlich fühlt sie eine Hand auf ihrer Schulter, am linken Schulterblatt, und ohne sich umzuwenden, lächelt sie, weil sie ohnehin weiß, wer sie so zärtlich berührt. Ja, Reisender, gehen wir, gehen wir fort von hier. Und schon bewegt sich meine Figur langsam und so sicher, als ob sie gezogen würde und allen zerborstenen Willen vertrauensvoll in die Schritte legte, den schmalen Pfad entlang, der zur großen Brücke über der Staumauer führt. War sie nicht einmal, an irgendeinem Tag in irgendeinem Sommer, mit dem Rad hier hinüber gefahren, als ob die Welt gar nicht mehr dummes Summen ringsum wäre, nur dazu da, sie weiter aus der Stadt hinauszuziehen und mit der kleinen nichtssagenden Fähre bekannt zu machen, die von einem zum andern Ufer übersetzte? Und Wolken zogen vorüber, und jemand mähte hohes Gras, und es war ein Tag wie aus den Büchern, in denen man am Ende baden geht und sich treiben lässt, ganz allein, und wieder ein Fließen und Strömen wird, wie von weither. Und kaum hat man’s gefühlt, kann man wieder Blätter oder Karten zur Hand nehmen und Grüße mit soviel zarter Kraft versenden, die einen Ohnmächtigen aus seiner Erstarrung lösen und ihn daran erinnern könnte, dass es an der Zeit wäre, wieder munter und wach zu werden. Sehnt sich nicht so mancher heimlich danach, hinzugeben, was ohnehin bereits verloren ist? – Lina Lorbeer, wir sind schon fast da. – Wo denn da , Reisender?
    Aus. Die Zeit ist um. Professor Icks sammelt die Blätter ein, und während er nach meinem greift, beugt er sich zu mir und flüstert mir ins Ohr, dass ich noch mehr und mehr aufhören könne, mich zu fürchten, denn wir seien ja nur deshalb in der Welt, um das Fürchten zu verlernen. Woher weiß Professor Icks, wozu ich auf der Welt bin? Aber wie gleichgültig ist das, wo er sich doch in so allgemeiner
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