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Kölner Kulissen

Kölner Kulissen

Titel: Kölner Kulissen
Autoren: Sascha Pranschke
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fragte, ob sie etwas anderes als Wein zum Lockerwerden möge, hat er kaum ernst gemeint. Neben den Koksresten findet sie ein Haargummi auf dem Glasregal. Damit hat Vico seine dünnen Strähnen im Nacken gebündelt. Ein wenig widerstrebt es Paula, das Haargummi zu benutzen. Doch schließlich bindet sie damit ihre dunklen Locken straff zusammen. Die Frisur muss schließlich auch zum Jogginganzug passen. Das benutzte Papier spült sie in der Toilette hinunter. Sie prüft, ob es auch tatsächlich im Rohr verschwindet. Erst als sie sich dessen sicher ist, verlässt sie das Bad.
    Im Wohnzimmer wieder das Gefühl, alles durch eine Kamera zu betrachten: Vicos Körper liegt reglos vor dem Sofa. Sein Kopf in der dunklen Lache. Die Vertiefungen in den Sofakissen, wo sie eben noch gesessen haben. Die dickbauchigen Weingläser auf dem niedrigen Tisch. Näher heran, Kamerafahrt zum Couchtisch. Dahinter rückt das Opfer immer weiter ins Zentrum des Bildes. Jetzt schwenkt die Kamera langsam nach unten. Zoom auf den Hinterkopf des Toten. Blutverklebte Haare, darunter eine Vertiefung. Und in diesem Loch die helle Masse, ist das sein Hirn? Das Kinopublikum erschauert – ein wohliger Schauer, denn es ist ja nur ein Film.
    Paula wendet sich ab und eilt zur Tür. Es gibt einen Fahrstuhl, doch sie nimmt die Treppe. In einem weiten Halbkreis führt sie hinunter in die Eingangshalle. Beinahe fliegt Paula über die breiten Marmorstufen. Geschnitzte Blumenornamente im hölzernen Treppengeländer rasen an ihr vorbei.
    »Irgendwann müssen wir hier drehen«, hat Vico gesagt. »Ich sehe dich in einem roten Seidenkleid die Treppe hinunterschreiten. Froschperspektive, um die gewaltigen Stufen zu betonen. Und um dir Dominanz zu verleihen.«
    Kurz vor dem Ende der Treppe stolpert sie über die zu großen Turnschuhe. Sie stürzt vier Stufen abwärts. Im letzten Moment bekommt sie das Geländer zu fassen und bleibt auf den Beinen. Sie hastet durch die Eingangshalle. Ein Blick durch den Türspalt: niemand zu sehen. Weiter über die Auffahrt, bei jedem Schritt knirscht der Kies unter ihren Sohlen. Ein kurzer Halt am Tor. Auf der Straße ist niemand. Die Sonne ist vor einer Stunde untergegangen. Doch Marienburg wirkt zu jeder Tageszeit wie ausgestorben. Auf dem Weg nach Mülheim wird sie noch vielen Menschen begegnen. Erst recht an einem Sonntagabend Ende Juni. Nicht wenige werden sie erkennen, Karriereknick hin oder her.
    Sie nimmt den Rucksack ab und öffnet ihn. In der Handtasche findet sie ihre schwarze Sonnenbrille und setzt sie auf. Kurz überlegt sie, ob sie nach rechts oder nach links gehen soll. Wo ist die nächste Haltestelle der Straßenbahn? Jetzt ein Taxi zu nehmen kommt nicht in Frage. In Krimis erinnern sich Taxifahrer stets ausgezeichnet an ihre Fahrgäste.
    Sie entscheidet sich für links. Nach wenigen Schritten glaubt sie, hinter sich ein Geräusch zu hören. Ein Kratzen auf dem Asphalt, nur ein paar Meter entfernt. Sie wagt nicht, sich umzudrehen. Stattdessen geht sie schneller und zieht den Kopf ein. Als sie an der nächsten Straßenecke abbiegt, riskiert sie einen Blick über die Schulter. Da ist niemand, sagt sie sich. Doch durch die Gläser der Sonnenbrille sieht sie die Szenerie zu dieser Uhrzeit nur schemenhaft. Irgendwo schlägt jemand eine Autotür zu. Paula richtet ihren Blick wieder nach vorn und hakt die Daumen unter die Riemen des Rucksacks.
    Die Straße beschreibt einen Bogen nach rechts. Hinter Betonmauern, hohen Zäunen und dichten Hecken sind die Villen der Vorstadt nur zu erahnen. Wenige Autos parken am Bordstein. Endlich gelangt sie aus dem Wohngebiet hinaus auf eine Hauptstraße. Autos rauschen vorbei, und dort verlaufen auch Straßenbahnschienen. Links erkennt Paula die Südbrücke. Noch weiter links reckt sich die Doppelspitze des Doms in den Nachthimmel. Geradeaus, unterhalb der Straße, schleppt sich der Rhein vorbei. Langsam schaukeln die gespiegelten Lichter eines Ausflugsdampfers auf der schwarzblauen Masse. Der Wind trägt die Stimmen der Feiernden herüber.

ZWEI
    Stau auf dem Deutzer Ring. Irgendwo wird immer gebaut, denkt Hanna. Irgendwer verursacht immer einen Unfall, wenn sie mit Weyrauch zu einem Tatort fährt. Das allein kostet schon Nerven. Unerträglich wird die Wartezeit im Stau aber erst durch Weyrauchs Mitteilungsbedürfnis. Montags gibt es besonders viel zu erzählen: das Fußballspiel seines Sohnes am Samstagnachmittag, die Grillfeier im Garten am Samstagabend, der Besuch der Schwiegereltern am
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