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Kölner Kulissen

Kölner Kulissen

Titel: Kölner Kulissen
Autoren: Sascha Pranschke
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»Letzte Zweifel« fiel beim Publikum durch. Aber 2001, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, durfte sich Paula einen Flop erlauben. Sie liebt den Film noir. Ein Polizeiverhör kann sie sich nicht anders als in einem solchen Film vorstellen.
    Sie haben ihm also die Flasche über den Kopf gezogen?
    Ich musste mich wehren!
    Zweimal?
    Sie werden ihr nicht glauben. Auch wenn es nicht zu einer Verurteilung kommt – etwas wird hängen bleiben. Und das lässt sich so schwer abwaschen wie Rotweinflecken von einem weißen Kleid. Nicht mal mehr Radiospots gibt es dann noch.
    Heute versteht sie ihre nüchterne Beurteilung der Situation genauso wenig wie ihren Gewaltausbruch. Gestern Abend hatte sie keine Zeit, über ihren Gemütszustand nachzudenken. Sie erinnert sich, wie sie sich in Vicos Wohnzimmer umsieht. Was kann hier auf sie hinweisen? Ihre Fingerabdrücke natürlich. Die Wohnung muss voll davon sein.
    Wie gut kannten Sie Vico Cramer?
    Wir haben fünf Filme miteinander gedreht.
    Und sonst?
    Was meinen Sie?
    Überall am Tatort haben wir Ihre Fingerabdrücke gefunden.
    Vico und ich waren schließlich befreundet.
    Nein, sie muss die Fingerabdrücke nicht entfernen. Erstens wäre es unmöglich, alle zu finden. Zweitens würde es vielleicht erst recht Verdacht erregen. Aber die Flasche muss verschwinden. Die Gläser auf dem Tisch? Nein, sie hat ja nichts getrunken und ihr Glas deshalb nicht angerührt. Neben den Gläsern liegt das Drehbuch, mit dem Vico sie in sein Haus gelockt hat. Der Titel lautet »Mandelbaums Krieg« – ein Fernsehfilm für den Dienstagabend. Den Part der weiblichen Hauptrolle hat Vico für Paula markiert. Als er im Bad gewesen ist, hat sie ein paar Sätze gelesen. Mehr ist nicht nötig gewesen, um die Häufung der Klischees zu bemerken. Auch Vico hat schon bessere Angebote bekommen, denkt sie. Aber immerhin hat er noch Filme gedreht – im Gegensatz zu Paula. Dass er diese Villa durch seine Arbeit fürs Fernsehen finanzieren konnte, bezweifelt sie allerdings. Wahrscheinlich hat er sich maßlos verschuldet, um damit zu protzen.
    Das Drehbuch mit den markierten Textstellen sollte sie mitnehmen. Es könnte Polizeibeamte auf die Idee bringen, Vico sei in Gegenwart einer Schauspielerin gestorben. Sie nimmt das Manuskript vom Tisch. Das Deckblatt ist voller Rotweinspritzer.
    Oder ist das Vicos Blut? Eine dunkle Lache hat sich um seinen Kopf gebildet. Paula achtet darauf, nicht hineinzutreten, als sie ins Schlafzimmer geht. Für das Manuskript und die Weinflasche braucht sie eine Tasche. Und sie muss ihre Kleidung wechseln. In dem weinfleckigen Kleid kann sie unmöglich durch die halbe Stadt nach Hause fahren.
    Sein Schlafzimmer: Über das ausladende Bett ist eine Samtdecke mit Leopardenmuster gebreitet. Am Kopfende bilden zwei Elefantenstoßzähne die Bettpfosten. Darüber zeigt ein Ölgemälde Nymphen in luftigen Gewändern. Filmplakate zieren die übrigen Wände, ausschließlich Plakate von Vicos eigenen Filmen.
    Im Spiegelschrank findet Paula einen Jogginganzug. Sie krempelt Ärmel und Beine ein paarmal um. So sieht er nicht allzu groß an ihrem schmalen Körper aus. Über die grünen Puma-Turnschuhe stolpert sie jedoch, kaum dass sie einen Schritt darin geht. Egal, zu dem Jogginganzug kann sie schließlich keine Pumps tragen. Aus dem Schrank zieht sie einen Rucksack aus Krokodilleder. Dort stopft sie Kleid, Schuhe und Handtasche hinein, dann das Drehbuch und die leere Weinflasche. Der Geruch des Weins steigt ihr in die Nase. Sie zieht den Reißverschluss des Rucksacks zu, klappt den Deckel darüber, setzt den Rucksack auf und schließt den Schrank. In der Spiegeltür taucht ihr Gesicht auf. Sie sieht die roten Spritzer. Fein wie Sommersprossen, auf der Stirn, unter dem linken Auge und dicht über der Oberlippe. Paula wird übel.
    Sie rennt ins Badezimmer. Minutenlang beugt sie sich würgend und schwer atmend über die Toilettenschüssel. Dann hat sie sich wieder unter Kontrolle. Am Waschbecken befeuchtet sie ein paar Blätter Toilettenpapier. Sie wischt sich die Spritzer aus dem Gesicht und betrachtet sich erneut im Spiegel. Die Krähenfüße an den Augenwinkeln treten deutlicher hervor als sonst. Und blass ist sie. Mehrmals schlägt sie sich auf die Wangen.
    Auf dem gläsernen Regal unter dem Spiegel entdeckt sie Reste von Koks. Es war ihr immer egal, wie viel Vico sich reinzog, solange er ihr nichts anbot. Doch das hat er schon vor Jahren aufgegeben. Solche zaghaften Versuche wie vorhin, als er sie
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