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Kobra

Kobra

Titel: Kobra
Autoren: Christina Czarnowske
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waren also gegen zehn hier. Haben Sie zufällig bemerkt, wann der Herr aus dem letzten Zimmer, aus 330, gekommen ist?“ 
    „Der ältere Dunkelhäutige, ja? Den habe ich bemerkt. Als er kam, blieb er stehen und schaute in die Vitrine. Das sieht man von hier aus. Es war zwanzig nach zehn.“ 
    „Moment. Woher wussten Sie, dass es zwanzig nach zehn war. Sie haben auf die Uhr gesehen, ja?“ 
    „Nein, nein“, erwidert Maxime lächelnd. „Ich bin doch zehn vor zehn gekommen, wie ich Ihnen sagte. Fünf Minuten brauche ich, bis ich hier oben bin, dann musste ich alles vorbereiten, das Wasser aufsetzen, sagen wir noch einmal fünf Minuten. Danach habe ich mich hingesetzt und gelernt. Ich hatte erst zwei Seiten gelesen, als ich den Herrn sah. Ich habe einen Plan, müssen Sie wissen, zehn Minuten pro Seite. Genau zwanzig nach zehn, Sie können mir glauben.“ 
    Ich glaube ihm. Das ist sie, die andere Generation, mit genau abgemessener Zeit, mit Lehrbüchern und Tanz.
    „Danach?“ 
    „Mehr weiß ich nicht. Ich habe gehört, wie er die Tür aufschloss und in sein Zimmer trat, sonst ist mir nichts weiter aufgefallen.“ 
    „Warten Sie. Weiter nichts? Wie sah der Herr aus?“ 
    „Was soll ich sagen ... im dunklen Abendanzug. Er erschien mir ein bisschen sonderbar. Nein, nicht betrunken!“, unterbricht sich Maxime, als er meinen fragenden Blick bemerkt. „Ich erkenne Betrunkene, Sie verstehen, kommen mir ja öfter unter ... Er war eher so ... so angespannt.“ 
    „Hatte er etwas bei sich?“ 
    „Ich glaube, ja. Es sah wie ein Aktenkoffer ... wie ein größerer Aktenkoffer aus.“ 
    Delacroix hatte also das Köfferchen bei sich. Was mag nur in dem Köfferchen sein, zum Teufel noch mal!
    „Wann sind die anderen Gäste gekommen? Haben Sie das bemerkt?“ 
    „Wissen Sie ...“ 
    „Nur, wenn Sie sicher sind, bitte!“ 
    „Hier, vom letzten Zimmer, der Mann und die Frau, die kamen kurz nach dem Herrn.“ 
    „Aus welchem letzten Zimmer?“ 
    „Aus 324. Die Frau ist so eine ganz kleine Person.“ 
    Ich schaue in meinen Notizblock. 324 – Ehepaar Poletti.
    „Danach?“ 
    „Dann kam auch der Herr von dieser Seite.“ 
    „Von welcher?“ 
    „Von der da.“ Maxime zeigt auf die linke Seite mit den ungeraden Zahlen. „Der Herr hier, neben dem Office.“ 
    Abermalige Information im Notizblock. Herr Neumann.
    „Er kam, ging dann aber noch einmal weg und kam wieder, deshalb habe ich es mir gemerkt.“ 
    Ich merke es mir auch.
    Ein Mann in meiner Situation muss in seinem Gedächtnis hunderte Einzelheiten sammeln, von denen sich vielleicht zehn als wichtig erweisen können.
    „Sehr gut, Maxime!“, sage ich. Der Tonfall gerät ein bisschen autoritärer, aber das macht nichts. Die Umstände erlauben das. Nicht jeder kann in so einer Lage so viele Auskünfte geben. 
    „Ich bitte Sie!“ Maxime lächelt schüchtern. „Es war ja nicht wer weiß was. Auf dieser Seite ist es ruhiger.“ 
    „Die anderen Gäste haben Sie nicht bemerkt?“ 
    „Nein. Die müssen früher gekommen sein. Die ältere Dame von 328 war auf dem Zimmer, sie hat nach mir geklingelt ...“ 
    „Wann?“ 
    „Als Sie kamen. Sie fragte, was das für ein schrecklicher Lärm neben ihr sei. Sie war wach geworden und ziemlich nervös.“ 
    „Als wir ankamen, war der Lärm schon vorbei. Haben Sie ihr etwas gesagt?“ 
    „Ich habe ihr gesagt, dass dem Herrn aus Zimmer neben ihr schlecht geworden sei.“ 
    „Richtig“, werfe ich ein. „Dabei bleiben Sie.“ 
    „Geht es ihm schon besser?“ 
    Ob es ihm besser geht? Hier weiß niemand und darf noch niemand wissen, dass Raphael Delacroix tot ist.
    Ich wähle meine Worte sorgfältig und sage möglichst beruhigend: „Man hat mir mitgeteilt, dass alles Nötige getan wird.“ Und so ist es ja. Maxime soll den von mir gewünschten Eindruck bekommen. Ich stehe auf, um zu gehen. Maxime erhebt sich ebenfalls. 
    „Moment“, sage ich. „Die Gäste sind gekommen, und keiner ist mehr weggegangen?“ 
    „Nein. Ich habe Ihnen doch gesagt“, widerspricht Maxime, „der Herr hier ist fortgegangen und später wiedergekommen, sonst niemand.“ 
    Delacroix bringt sich um, die anderen schlafen. So könnte es auch gewesen sein, aber sicher bin ich nicht. Ich bedanke mich bei Maxime und gehe. Ich muss auf die Brüder Rozier warten – unsere Asse auf dem Gebiet der Schlösser. Maxime bringt mich zur Tür.
    „Wenn Ihnen noch etwas einfällt“, sage ich, während wir uns die Hand geben,
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