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Kobra

Kobra

Titel: Kobra
Autoren: Christina Czarnowske
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Rezeptionistin eine Verbindung verlangt hat. Delacroix hat hier Bekannte gehabt, die ich finden muss. Denn die Besitzerin dieser Stimme ausfindig zu machen, ist wohl ein recht hoffnungsloses Unterfangen. Irgendjemand aus der Millionenstadt ruft in der Nacht an, verlangt eine Verbindung mit einem Mann, der nicht wachzukriegen ist, bedankt sich und legt auf. Versuch mal einer, den zu finden. Schließlich stellt sich dann heraus, dass sie es lediglich auf das Finanzielle abgesehen hatte.
    Ich seufze verdrießlich und gehe zum zweiten Beutel mit dem Papierkorbinhalt über. Mein erster Eindruck ist richtig gewesen – hier ist ein zerrissener Brief.
    Solche zerrissenen Briefe finden sich übrigens wirklich in den Zimmern von Toten, sie sind nicht bloß ein Aufhänger, der allen Liebhabern der Fernsehserien schon zum Hals heraushängt. Ich versuche den Brief zusammenzusetzen, aber es kommt nichts heraus dabei. Er ist offenbar auf Spanisch oder Portugiesisch geschrieben, denn es gibt darin auf dem Kopf stehende Ausrufezeichen.
    Eine intelligent männliche Handschrift auf einem Kopfbogen. Diesen Text kann ich entziffern, er ist englisch:
    Dr. Antonio Delacroix – Laboratorium für klinische Forschungen – Neapoleos 21, Athen.
    Das ist interessant. Wahrscheinlich ein naher Verwandter unseres Delacroix.
    Jetzt muss sofort Maria von der forensischen Linguistik geweckt werden. Fürs Zusammensetzen gibt es Spezialisten, und das wird wenig Zeit in Anspruch nehmen, die können das auch bei kleinsten Fetzen. Der Brief ist nicht in Fitzelchen gerissen, das wird flott hinzukriegen sein. Und Maria ist unsere Spanisch-Expertin, auf sie zähle ich bei der Übersetzung. Sophie wird sie aufstöbern und ins Büro schleppen. Maria wird sauer sein, sie hat einen etwas eigenartigen Charakter. Eine Argentinierin mit einem Pariser verheiratet und so weiter. Aber das ist eine andere Geschichte. Für mich ist wichtig, dass sie mir den Brief ohne großes Wenn und Aber übersetzt.
    Am Morgen muss ich beim Innenminister sein und ihm einen ersten Plan für meine weiteren Aktionen vorlegen. Ohne den Brief darf ich mich nicht bei ihm blicken lassen.
    „Herr Minister, würden Sie bitte mal rasch hersehen?“ 
    Das ist der ältere Bruder. Die Frage hält sich an die Form, aber mit einem Anflug von Zufriedenheit und vielleicht ein bisschen Stolz.
     
    Ich hebe den Blick. Die Koffertasche liegt geöffnet auf dem Schreibtisch. Die Minilampen, Lupen und natürlich die Geschicklichkeit der Roziers haben das Ihre getan. So schnell hatte ich es nicht erwartet, wirklich nicht. 
    Ich stehe auf und mustere neugierig den Inhalt der Tasche – das, was so sorgfältig verborgen werden musste. Zwei Ledermappen mit Papieren, Schreibutensilien, ein Notizblock mit Kugelschreibern in einer Mappe, ein Fach für Briefpapier mit gefütterten Umschlägen und Papier – Briefbogen der Lombardia –, dazu eine große blaue Thermosflasche. 
    Die Papiere in den Mappen sind uninteressant. Eine ist übrigens voller Prospekte der Lombardia, und die Werbung ist in durchaus dezentem Ton gehalten – die Geschäfte der Firma gehen offenbar gut. Die andere enthält Kopien von Briefen an verschieden Firmen im Nahen Osten und auf der Balkanhalbinsel.
    Telefonnummern und Notizen in dem Büchlein sagen mir nichts – wenigstens vorerst nicht. Sie sind aus Beirut, Wien, Mailand, Athen. Auch zwei Pariser sind darunter: die von Société Générale und dem Handelsunternehmen Carrefour. Unter den Athener Nummern finde ich übrigens auch die von Dr. Antonio Delacroix.
    Die Tasche fängt an, mich zu enttäuschen. Nichts Besonderes, Herr Raphael Delacroix hat einfach seine Geschäftsverbindungen geheim gehalten, und das ist völlig gerechtfertigt. Mit zerstreuten Managern kennt die Konkurrenz kein Erbarmen.
    Ich nehme die Thermosflasche in die Hand und schraube den Becher ab. Kaffee. Er ist sogar noch warm. Das interessiert mich nicht nur aus beruflichen Gründen. Herr Delacroix ist also mit Kaffee versehen zu den Konferenzen gegangen ... ich möchte jedoch wissen, wie dieser Kaffee beschaffen ist und ob er nur Koffein enthält. Ich habe da meine Vermutungen. 
    Ich gieße vom Kaffee in den Verschlussbecher. Der wird voll, und die Thermosflasche ist leer. Im ersten Moment sitze ich da und bin, gelinde gesagt, verblüfft. Sicherlich biete ich meinen Mitarbeitern einen merkwürdigen Anblick, die noch nicht mitbekommen haben, was eigentlich los ist, aber merken, dass etwas passiert sein
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