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Kobra

Kobra

Titel: Kobra
Autoren: Christina Czarnowske
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dem man spricht. Hauptsache, der Eindruck von Chloé Leroy ist richtig.
    „Machen Sie mir bitte einmal vor, wie.“ 
    Chloé Leroy spricht einen Satz, tatsächlich ein bisschen zögernd, mit Intervallen zwischen den Wörtern. Aber so sprechen Frauen, wenn sie unnatürlich sind oder sich wichtig tun. Weiter?
    Weiter ist fast nichts. Chloé Leroy rief Legrand, und was weiter folgte, ist bekannt.
    Ich danke Chloé Leroy, die sich gleich wieder in die horizontale Lage begibt, und gehe zum Fahrstuhl. Ich will noch mit dem Mann vom Etagendienst sprechen.
    Derselbe Korridor. Durch die Balkonfenster schimmert bereits schwaches Licht und lässt die Wandlampen verblassen, sodass die Gegenstände ihr müdes Alltagsaussehen bekommen. Einer aus unserem Team sitzt auf einem der Sofas und gibt sich den Anschein, in die Zeitung vertieft zu sein, die aufgeschlagen auf seinen Knien liegt. Um vier Uhr morgens muss ihn die Zeitung von gestern mächtig fesseln.
    Als er mich erblickt, steht er auf und meldet: Während seines Dienstes hat niemand sein Zimmer verlassen. Gut.
    Ich überlasse ihn seiner nützlichen Beschäftigung und betrete das Office. Zum Gang hin ein Portal, das in einen Raum führt, der als Bügelstube eingerichtet ist – zwei Bügeltische, flache Bügeleisen mit langen Schnüren, Kleiderhaken an den Wänden. Es riecht angenehm nach erhitztem Stoff. In den zweiten Raum führt eine Tür. Dieser ist klein und offenbar das Hauptquartier des Etagennachtdienstes. Nach draußen ist er offen: Eine Glasscheibe, in einen Metallrahmen eingelassen, mit einem Schalter und einer kleinen Vitrine. Darauf liegen glänzende Zigarettenpackungen, Keramikbroschen und die obligatorischen Näpfchen mit Brandmalerei.
    Drinnen Tische an den Wänden, ein Spülbecken, polierte Regale an der Wand und darauf hohe und flache Gläser, bunt etikettierte Flaschen mit Fruchtsäften. Auf dem Tisch eine kleine Espressomaschine, daneben ein glänzender Teekessel. Alles ist in bester Ordnung, offenbar hat niemand den Wunsch gehabt, Kaffee aus dem Office zu trinken.
    Um diese Einzelheiten zu erfassen, brauche ich nicht viel Zeit, ich gehe lediglich etwas langsamer.
    Ich betrete den Raum mit der Vitrine, und der Mann vom Etagennachtdienst – ein junger, adrett angezogener Mann – springt auf, um mich zu begrüßen. Auszuweisen brauche ich mich nicht, er hat mich wahrscheinlich schon gesehen. Er bietet mir einen Stuhl an, und sein ganzes Wesen strahlt Freundlichkeit aus und den Wunsch, mir zu helfen. Ich muss sehr aufpassen, denn man kann sich aus purem gutem Willen eine Menge Dinge ausdenken, über die ich mir dann den Kopf zerbrechen muss.
    „Sie sind der Kollege ...“, beginne ich. 
    „Maxime. Bitte setzen Sie sich.“ 
    „Sehen Sie, Kollege Maxime, ich möchte, dass Sie mir einiges sagen. Aber nur, wenn Sie sich genau daran erinnern. Wenn Sie unsicher sind, sagen Sie es mir.“ 
    „Selbstverständlich, Dr. Bouché. Bitte!“ 
    „Sie versehen hier den Nachtdienst, nicht wahr? Wann treten Sie ihn an?“ 
    „Um zehn Uhr abends. Die von der Tagesschicht gehen um sechs, ich fange um zehn an.“ 
    Also eine Lücke von vier Stunden, noch dazu die wichtigsten. Kein Grund zum Ärger. Natürlich richtet die Hotelverwaltung ihre Arbeitszeiten nicht nach Herrn Delacroix’s Absichten ein. 
    „Zehn Uhr abends ...“ 
    Aus dem Augenwinkel bemerke ich auf dem Tisch ein Buch mit festem Einband, aufgeschlagen, und die Seiten sorgsam mit blauem und rotem Stift unterstrichen.
    „Sicherlich lesen Sie nachts recht viel“, erkundige ich mich vorsichtig. 
    „Ich finanziere mein Studium mit dem Dienst hier. Die Prüfungen kommen näher, es hilft nichts“, erklärt der junge Mann mit entschuldigendem Unterton. „Aber wir haben die Erlaubnis dazu. Der Hoteldirektor stellt sogar lieber Studenten für diesen Dienst ein, will sagen, für den Nachtdienst.“ 
    Ich verstehe. Die Studenten lernen und schlafen nicht ein.
    „Nein, nein, keine Sorge.“ Ich beruhige ihn. Der Junge wird mir sympathisch. Er ist noch sehr jung, so um die Zwanzig, weiß aber bereits, wann er sein Lehrbuch mit blauem und rotem Farbstift unterstreichen muss und wann er tanzen gehen kann. 
    „Keine Sorge“, wiederhole ich. „Ich möchte nur, dass Sie sich die Vorgänge dieser Nacht genau ins Gedächtnis rufen. Sie fangen um zehn an. Wann sind Sie heute Abend gekommen?“ 
    „Zehn vor zehn. Ich habe unten in der Eingangshalle auf die Uhr geschaut, als ich mich eintrug.“ 
    „Sie
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