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Knochenbrecher (German Edition)

Knochenbrecher (German Edition)

Titel: Knochenbrecher (German Edition)
Autoren: Bernd Flessner
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Kutter, der sich mit einem langgezogenen, metallischen Kreischen aus seiner Verankerung riss und seinen Weg in die Fahrrinne des Hafenbeckens fortsetzte. Der Ruck, der dabei durch den Kutter ging, erfasste auch Greven und riss ihm den Rettungsring aus der Umklammerung. Mit den Armen halb in der Luft, halb schon im Wasser rudernd, verschwand er in der Welle, die das Spiegelheck vor sich her schob. Seinem Instinkt folgend, tauchte er mit wilden Schlägen einfach drauflos, um nicht unter den Kutter zu geraten, um nicht vom Ruder oder der Schraube erwischt zu werden, die auch ohne sich zu bewegen eine tödliche Gefahr darstellten. Nachdem der befürchtete Kontakt ausgeblieben war, verlangsamte er seine Schwimmbewegungen und öffnete kurz die Augen. Ein trübes Dunkelgrau, wohin er den Kopf auch schwenkte. Oben und unten, rechts und links, vorne und hinten waren eins. Erst jetzt traf ihn die Angst mit voller Wucht, für die er in den vergangenen Sekunden keine Zeit hatte erübrigen können. Gleichzeitig begannen seine untrainierten Lungen, sich immer heftiger gegen den unerwarteten Tauchgang zu wehren und drohten, seine Angst in Panik zu verwandeln. Greven konzentrierte sich auf die mit Endolymphe gefüllten Bogengänge in seinen Innenohren, doch sein Gleichgewichtsorgan streikte. Mit zusammengepressten Lippen und brummendem Schädel stellte er die Schwimmbewegungen ein und achtete auf ein mögliches Absinken, das er nach wenigen Sekunden auch zu spüren glaubte. Sofort strampelte er mit Händen und Füßen in die Gegenrichtung und konnte schließlich im allgegenwärtigen Grau diffuses Tageslicht ausmachen. Als er spuckend und hustend aus dem trüben Brackwasser auftauchte, trieb der Kutter keine zwei Meter neben ihm quer in der Fahrrinne. Im Jachthafen gegenüber konnte er drei Voyeure ausmachen, die teilnahmslos zu ihm hin gafften. Aus dem Kutterhafen steuerte ein Motorboot auf ihn zu.

 
     
     
     
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    »Dein erstes Nah-Tod-Erlebnis?«, fragte Hansen.
    »Nein«, antwortete Greven mit dicker Zunge und ließ sich auf den ironisch-tröstenden Ton des Kollegen ein. »Aber so schlimm war es auch wieder nicht. War eher ein Nah-Kutter-Erlebnis.«
    »Schickes Outfit«, kommentierte Jaspers, als er sich an Greven vorbeischob. »Sieht nach einem Erbstück aus.«
    »Eine Leihgabe vom alten Ysker«, brummte Greven und krempelte die Ärmel des viel zu großen Baumwollhemdes ein weiteres Mal um. »Und damit habe ich noch Glück gehabt. Was bei dem so alles im Schrank hängt …«
    »Moin, Gerd. Siegerehrung schon vorbei?«, fragte Dr. Behrends, der sich in diesem Augenblick an Greven vorbei ins Wartezimmer zwängte.
    »Welche Siegerehrung?«
    »Na, du sollst doch heute Mittag an einem Stapellauf teilgenommen haben und Erster geworden sein. Wurde mir jedenfalls so erzählt.«
    »Aber mein Gesundheitszustand ist dir egal?«, entgegnete Greven dem nicht mehr ganz jungen Mediziner, streckte ihm seine dicke Zunge entgegen und deutete mit einem Finger auf die Bisswunde, die er sich selbst zugefügt hatte.
    »Wer so eine Gesichtsfarbe hat, wer so mit beiden Beinen auf den Dielen steht und dezent nach Grog riecht, der hat nichts. Jedenfalls nichts, was in ein paar Tagen nicht wieder vergessen ist.«
    »Lassen wir das«, gab Greven auf. »Sag mir lieber, was mit Tante Hedda …, ich meine, was mit Frau Bogena ist. Oder bist’ noch nicht so weit?«
    »Da ist gar nicht so viel zu sagen. Fraktur des Dens axis. Jemand hat ihr das Genick gebrochen. Was bei einer Größe von etwa einssechzig und einem Gewicht von, sagen wir, 42 Kilo für einen kräftigen Menschen kein Problem ist. Ganz abgesehen von dem hohen Alter der Frau. Es gab nicht mal einen nennenswerten Kampf. Das siehst du ja. Viel Gegenwehr war da nicht drin. Sonst wärst du ja nicht zu spät gekommen.«
    »Du hast recht, ich bin zu spät gekommen«, gestand Greven mehr sich selbst als dem Arzt ein. »Im Nachhinein kann ich die Geräusche und das Stöhnen natürlich deuten. Ich hatte ja auch so eine Ahnung, sonst hätte ich ja nicht nachgesehen. Aber mit einem kaltblütigen Mord habe ich auch wieder nicht gerechnet. Eher mit einem Schlag auf den Kopf und einem Griff in Tante Heddas Kasse. Einen Unfall schließt du also aus?«
    »Definitiv. Du weißt, wie lange ich dabei bin. Nein, da hat jemand vorsätzlich gehandelt. Wahrscheinlich hat ihr der Täter von hinten den Mund zugehalten, ihr den Arm umgedreht und sie dann mit dem Genick gegen die Tischkante geschlagen. In einer schnellen,
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