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Klotz, Der Tod Und Das Absurde

Titel: Klotz, Der Tod Und Das Absurde
Autoren: Christian Klier
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Ermittlungen
bekannt war, gab er Anweisungen. Escherlich sollte zu dem Betonwerk rausfahren.
Haevernick durfte die Staatsanwältin informieren. Die würde sowieso schon im
Dreieck springen, wenn sie erfuhr, dass ihre Ermittler eine Stunde an einem
frischen Tatort zugebracht hatten, ohne sie über den Stand der Ermittlungen in
Kenntnis zu setzen. Außerdem musste ein Abschleppwagen bestellt werden, der den
Golf samt Insassen in die Gerichtsmedizin bringen würde. (Vielleicht konnte
sich die Leiche ja während des Transports irgendwie das Genick brechen.) Er
selbst würde sich noch mal mit dem Jogger unterhalten und eine Zusammenfassung
der bisherigen Ergebnisse in Angriff nehmen. Schriftlich, versteht sich. Und
notgedrungen.
    Es war genau elf Uhr dreiundzwanzig, als Escherlich wieder am Tatort
erschien.
    Klotz stand in seinem erdbraun verdreckten Mantel bei den Sanis
herum und sah irgendwie verwaschen aus. Dass er rauchte, unterstrich diesen
Eindruck noch zusätzlich. Den Jogger hatte er inzwischen nach Hause geschickt.
Außer dass der Sportsfreund die Leiche entdeckt hatte, brachten seine Aussagen
nichts. Escherlich hatte hier schon mehr vorzuweisen: Der Name des Toten war
Thorsten Gummler. Er arbeitete seit dreizehn Jahren als Betonfahrer bei diesem
Breslauer. Gestern Abend hatte er noch eine Fuhre zu erledigen gehabt, deshalb
hatte er auch den Betonlaster mitgenommen.
    »Du willst doch nicht sagen, dass sich dieser Gummler gestern nach
seiner Arbeit einen Lkw geschnappt hat, in das Waldstück hier gefahren ist und
sich selbst in den Beton gegossen hat?«, fragte Klotz ungläubig nach.
    »Vielleicht. Ich hab keine Ahnung«, erwiderte Escherlich und fuhr
mit seinem Bericht fort.
    Gummler wohnte bei seinem Vater, einem gewissen Erwin Gummler, auf
einem Aussiedlerhof namens Eichenbühl. Einem Ort zwischen Erlastrut und
Winterstein, gerade mal einen Kilometer vom Tatort entfernt.
    »Dann fahren wir da doch mal hin«, schlug Klotz vor, »und
überbringen die frohe Botschaft.«
    Man war sich für nichts zu schade.
    Die beiden Ermittler begaben sich zu ihrem Wagen. Bevor Escherlich
einstieg, öffnete er seine Jacke. Offensichtlich war ihm warm. Klotz konnte auf
dem darunter befindlichen Shirt eine Aufschrift lesen, die sich bis dato unter
der Jacke versteckt gehalten hatte: Too Old To Die Young . Wie treffend – und wie geschmacklos.
    Der Nieselregen hatte aufgehört, und eine tief stehende Wintersonne,
die auf die Süd-Ost-Ecke des Schweinekobens traf, bewirkte, dass der wellige
Kopfsteinpflasterboden des Hofes von einer Diagonale in zwei Hälften geteilt
wurde. Rechts Schatten und links, wo der verdreckte Mengele-Dungstreuer stand,
wärmten die Sonnenstrahlen den am Boden angetrockneten Kuhmist auf. Es roch,
wenn auch etwas abgeschwächt, nach Rindviehpisse und Schweinedreck.
    Klotz hasste es, die Angehörigen über das plötzliche Ableben eines
Familienmitglieds zu informieren. Aber das war Teil einer jeden
Todesermittlung. Ob Unfall, Suizid, Totschlag oder Mord. Während der kurzen
Fahrt hierher hatte er darüber nachgedacht, ob es sich bei dem Fall überhaupt
um Mord handelte. Angesichts der Umstände schien ihm Selbstmord aber
unwahrscheinlich.
    Jemand setzt sich in einen Wagen und lässt ihn mit Beton volllaufen.
Außerdem hat man vorher noch die Seitenfenster runtergekurbelt, damit der Kopf
schön im Freien liegen und weiteratmen kann, während der wohlig warme Beton die
Wanne des Wagens langsam ausfüllt und mit der Aushärtung beginnen kann. War das krank!
    Und ein völliger Unsinn noch dazu. Auch das nicht registrierte
Kennzeichen des Golf sprach für einen kriminellen Hintergrund, für einen Täter,
der das ganze makabere Schauspiel inszeniert hatte. Dennoch. So absurd die
Theorie eines möglichen Selbstmords auch sein mochte, so wollte Klotz sie doch
ausgeschlossen wissen. Falls es wirklich Selbstmord war, dann musste das
Psychogramm von Thorsten Gummler nicht nur zwei oder drei Defekte aufweisen.
Aber vielleicht war er ja ein völlig durchgeknallter Typ gewesen, dessen
Seelen- und Gedankenwelt sich jenseits von Gut und Böse befunden hatte. Genau
das wollte er jetzt herausfinden. Nicht nur für Mord, auch für den Selbstmord, besonders für Selbstmord, gab es immer ein Motiv. Und deshalb
hatte er sich vorgenommen, bei der Vernehmung von Vater Gummler zunächst einmal
nur von einem tragischen Unfall zu sprechen.
    Er war ausgestiegen. Stand jetzt neben dem Wagen, den er mitten auf
der Grenze zwischen Licht und
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