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Klotz, Der Tod Und Das Absurde

Titel: Klotz, Der Tod Und Das Absurde
Autoren: Christian Klier
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gewartet, bis sie gekommen waren.
Hatte sie gleich erkannt, an ihrem Gang und an ihren Stimmen. Der eine, der
Gutaussehende, der wegen ihr das Schuljahr nicht schaffen würde, war gleich auf
sie zugekommen, hatte sie gepackt, gegen den Bagger geworfen und den anderen
befohlen, sie festzuhalten.
    Sie hatte ihren Atem gerochen, der nach Bier und Zigaretten stank,
hatte sich die Kleider vom Leib reißen und schmutzige Zähne in ihren weißen
Hals beißen lassen.
    Jetzt war es vorbei. Endlich vorbei. Gleich würden sie ihre Arme
loslassen und gehen.
    Vier
    Alles ist dunkel. Wo ist Mama? Mama? Wo bist du? Mein Fuß tut
weh. Ich kann nicht laufen. Ich habe in die Hose gemacht. Mama, wo bist du?
Bist du böse? Alles so dunkel. Mama, wo bist du? Mama, bist du das? Mama,
weinst du? Mama, bist du das? Wo, wo bist du? Mama. Wo bist du?
    Drei
    »Und? War doch gut, oder?«
    Die andern sagten nichts.
    »War doch gut, oder?«, wiederholte der Gutaussehende lauter.
    »Lass uns abhauen. Komm.«
    »Wie, abhauen? Ist dir klar, was das hier ist? Das eben war kein
Kindergeburtstag, Mann. Du weißt wohl, was abgeht, wenn das rauskommt!«
    »Und was willst du dagegen tun, Mann?«
    »Na, ganz einfach!«
    Zuerst konnte man es nur hören. Das Geräusch hatte irgendwie etwas
Trockenes, Staubiges an sich. Es klang hell und stumpf. Als die Wolken das
Licht wieder freigegeben hatten, traf es auf den blanken Stahl einer
Messerklinge.
    Zwei
    Sie hatten die Arme losgelassen, aber gegangen waren sie nicht.
Der mit den teuren Kleidern, der mit dem vielen Geld, der mit dem Porsche. Der
Durchfaller. Der Gutaussehende. Der, der von der Schule gehen musste, weil er
nicht gelernt, weil er lieber Drogen genommen und Mädchen verführt hatte.
    Zuerst war es nur warm. Angenehm warm und wohlig war dieses Gefühl
in ihrem Bauch. Keine Schmerzen mehr. Kein Reißen, kein Poltern, kein Drücken.
Keine Schmerzen mehr. Eine Explosion von Wärme und Glück. Und dann.
    Dann folgte der Gang auf die Spitze, schwebend und leicht. An der
Schräge hinauf, an der Seite der Pyramide nach oben, denn da war das Licht, da
war der Stern. Und der Stern war so weiß und so weich und so golden. Und als
sie oben war, auf der Spitze, auf dem Zenit, und hinabsah, da sah sie sich
schwimmen. In einem Sommer, der verloren war. Und um sie herum die Wellen, auf
denen der Mond Kapriolen schlug. Und ihre Hände, ihre Arme und Hände wollten
das Wasser zerteilen, wollten bewegen, wollten voran. Doch dann sah sie, dass
das Wasser kein Wasser war, sondern Blut. Und sie wandte sich ab und ging
weiter durch eine Hülle von Licht, die sie nach oben zog. Durch das All, durch
tiefhelle Luft. Und der Geruch dieser Luft pumpte sich bis in die letzte Pore
ihrer Lungen hinein und sagte, dass er sie liebe. Und ihr Gesicht war in die
Erde gepresst. Die Erde des Gartens. Und es war der letzte Moment vor dem
Kippen in den Herbst, der letzte Moment, nach dem Fallen aus dem Frühling. Und
da war die Schwelle, und sie wusste, dass es die Schwelle war.
    Es geht nicht. Ich kann nicht. Mein Junge, mein Baby, mein Kind. Doch,
es geht. Nein. Doch, es geht. Es geht.
    Eins
    Berufskraftfahrer Bodo Kramer war aufgewacht. Er sah auf die
dunkelroten Ziffern seines Radioweckers und fluchte leise. Als er den
Oberkörper anhob und sich dabei den Kopf an der viel zu engen Koje des
Führerhäuschens stieß, fluchte er noch mal, aber diesmal doppelt so laut, wie
er es sonst zu tun pflegte. Ihm schmerzte nämlich nicht nur der Kopf, sondern
auch das Gehör: Die unnatürlich gut gelaunte Stimme des Radiomoderators
wünschte allen Frühaufstehern einen wunderschönen Morgen und einen guten Start
in den Tag. Zu allem Überfluss begann France Gall die ersten Takte von »Ella,
elle l’a« loszufiepsen. Bodos Faust flog zielsicher dem On/Off-Schalter
entgegen und traf. Das Einzige, was er jetzt noch hören konnte, war das
Knistern der Bildzeitung unter seinem Hintern. Aber da war noch was. Es kam von
draußen. Bodo zog das windige Vorhängelchen zurück und sah zu dem Rohbau, dem
gegenüber er gestern geparkt hatte. Er hörte einen Schrei, der alles in den
Schatten stellte, was er bisher gehört hatte. Er war hellwach, und sein
Instinkt sagte ihm, dass da eben etwas Fürchterliches geschehen sein musste.
Dann sah er Schatten, die sich vor dem Rohbau aufgeregt bewegten. Einer der
Schatten brüllte irgendetwas von Aufbruch. Ein anderer riss einen Typen von der
Böschung weg, die zur Bundesstraße hin abfiel.
    Bodo überlegte kurz, ob
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