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Klostergeist

Titel: Klostergeist
Autoren: Silke Porath
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»Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Ich habe wirklich die Schnauze voll von all dem hier.« Sie machte eine ausladende Handbewegung, die das Wohnzimmer, das Haus und sicher auch das Städtchen mit einschloss. Ihre Lippen zitterten und ihr Blick schien sich nach Innen zu kehren.
    »Ja?«, ermunterte Pius sie zum Weiterreden.
    »Bärbel«, presste die Witwe tonlos hervor. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sogleich als zwei dicke Tropfen über ihre Wangen liefen und eine nasse Spur durch das Make-up zogen. »Diese Schlange hat Manfred den Kopf verdreht mit ihren dicken Brüsten und dem Gesäusel von einem gemeinsamen Leben.« Sie ballte die Hände zu Fäusten. »Wissen Sie, Pater, so was kommt vor, damit kann man leben, das geht auch wieder vorbei.« Marlies zog geräuschvoll die Nase hoch. »Und eine Weile sah es auch so aus, als ob mein Mann wieder zur Vernunft gekommen wäre. Aber dann stand eines Abends diese Person vor der Tür. Mit einem hellblauen Büchlein in der Hand.«
    »Ein Mutterpass!«, rief Pater Pius.
    »Bravo, Pater, so weltfremd seid ihr da oben also nicht«, konterte Marlies Engel und kniff den Mund zusammen.
    »Das muss sehr schmerzhaft für Sie gewesen sein«, sagte Pius.
    Die Engel nickte stumm. »Wissen Sie, das Balg kann ja nichts dafür, wir hätten schon dafür gesorgt, dass die Bärbel finanziell gesehen keine Schwierigkeiten macht.«
    »Aber sie wollte mehr«, folgerte Pius.
    »Richtig, sie wollte meinen Mann.«
    »Aber?«
    »Er wollte sie nicht. Er wollte das Kind, er wollte mich, sein Renommee als Bürgermeister. Und dann hatte er diese hirnrissige Idee: Das Geld aus dem Verkauf des Grundstücks an der Hauptstraße, genau jene Scheine, die sich in diesem Umschlag dort befinden, wollte er in die Renovierung des ›Bären‹ stecken.« Marlies Engel atmete schwer. Ihr Blick schien ins Nichts zu gleiten, als sie weitersprach. »Das hat er mir gesagt, eiskalt, dabei stammt dieses Grundstück aus dem Besitz meiner Familie, es ist also mein Geld, mir steht das zu. Ich wollte schon als Mädchen einen eigenen Laden haben und der alte Schuhladen ist doch perfekt! Ich wollte ihn sanieren, den Hafen ausbezahlen und ein Geschäft für Dekorationsartikel eröffnen. Feines Porzellan, kleiner Nippes aus Glas, schöne Kerzen, all so was. Aber nein, Manfred wollte der Schlange das Geld in den Rachen werfen. Es ist doch klar, dass man da nicht schlafen kann!«, ereiferte sich die Engel und fuhr, ohne auf Pius’ Antwort zu warten, fort: »Ich bin ihm nachgegangen, weil ich dachte, der geht bestimmt zu seiner Hure. Aber Manfred ist auf den Dreifaltigkeitsberg gewandert. Ich hab mich gewundert, welches Tempo er an den Tag legt. Ich bin ihm kaum nachgekommen. Jedenfalls verschwand er in der Kirche, dieser bigotte Ehebrecher. Und wo finde ich ihn? Wie der beste Christ hockt er in der ersten Bank vor dem Altar und betet.« Aus Marlies’ Mund stieben Spucketropfen, als sie weitersprach. Pius verkrampfte sich auf seinem Sessel immer mehr. Für ein Gebet hatte er keinen klaren Gedanken übrig.
    »Der muss sich enorm erschrocken haben, als er mich gesehen hat.« Marlies Engel grinste. Ihr Blick war wirr. »Jedenfalls hat er gegurrt wie ein Täubchen und gesagt, er wolle mich nicht verlieren. Sie wissen schon, das übliche Blabla. Ich hab ihn reden lassen. Schließlich meinte er, er wolle mir etwas zeigen. Stand auf, ging auf die Empore, ich hinterher. Mein Mann langte hinter die Orgel und zog einen Schlüssel heraus.«
    »Woher wusste er, dass dort der Turmschlüssel ist?«, platzte Pius heraus. Die kleine Luke hinter dem wuchtigen Instrument kannten nur die Patres und Brüder des Ordens.
    »Das habe ich ihn auch gefragt. Er sagte, er habe als Kind einmal hinter der Orgel Verstecken gespielt und dabei die kleine Klappe entdeckt.«
    Pius nickte und überlegte, dass die Brüder einen neuen Aufbewahrungsort für den Schlüssel finden mussten, wenn das alte Versteck offensichtlich enttarnt war.
    »Wir sind dann auf den Turm gestiegen. Es war klirrend kalt, aber auch wunderschön. Spaichingen mit all seinen Lichtern lag uns zu Füßen. Die Sonne ging gerade auf, eiskalt schien sie und war ganz grau« Marlies Engels Blick wurde glasig. Sie starrte auf Pius, dann ins Nichts.
    »Manfred sagte mir, dass er all das nicht verlieren wolle, nicht seinen Posten als Bürgermeister, nicht sein Ansehen. Aber auch nicht die Bärbel und nicht das Kind. Wenn ich die Ehe retten wollte, so müsste ich ihm das Geld
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