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Klostergeist

Titel: Klostergeist
Autoren: Silke Porath
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bitte«, sagte sie nun ihrerseits. »Ich bin etwas nervös.« Dann nahm sie die Kaffeetasse, holte eine zweite aus der Küche und machte es sich Pius gegenüber auf dem Sofa bequem. Der heiße Kaffee aus frisch gemahlenen Bohnen tat dem Pater gut. Sein Zeh pochte zwar gegen das Leder des Schuhs, doch langsam ließ der Schmerz nach.
    »Sie wollen also ein paar Tage verreisen?«
    »Länger, Pater«, entgegnete Marlies und lehnte sich zurück. »Für immer, um genau zu sein.«
    Pius riss die Augen auf. Er hätte so einiges erwartet – nicht aber, dass eine derart heimatverbundene Frau wie Marlies Engel so mir nichts, dir nichts Spaichingen den Rücken kehrte.
    »Und wohin geht die Reise?«, fragte er schließlich.
    »Südamerika«, lautete die knappe Antwort. In Marlies Engels Augen war ein Blitzen zu sehen, das Pius mit einem Mal hellwach werden ließ.
    »Haben Sie denn geregelt, wer sich um die Grabstätte Ihres Mannes kümmert? Sie wissen ja, dass unser Bruder Sunil solche Aufträge auch annimmt«, lächelte er und hoffte, die Engel so zum Reden zu bringen.
    Und tatsächlich zeigte die Witwe eine heftige Reaktion – allerdings nicht die, die der Pater erwartet hatte. Marlies Engel nämlich sprang so schwungvoll auf, dass die feine Kaffeetasse vom Tisch kippte, über den beigefarbenen Teppich hüpfte und auf dem Fischbodenparkett in tausend Teile zersprang. Der restliche Kaffee floss in alle Richtungen und hinterließ dunkle Sprenkel auf dem beigen Sofa.
    »Ich soll mich auch noch um das Grab von diesem Schuft kümmern?« Die Engel kreischte so laut, dass ihre Stimme sich überschlug. Ihre mit grünem Lidschatten umrahmten Augen drohten aus den Höhlen zu treten, als sie Pius wutentbrannt anstarrte.
    Der Pater drückte sich tiefer in den Sessel. Mit allem hätte er gerechnet – aber nicht damit. Pius schickte ein Stoßgebet zum Himmel, doch befürchtete er, dass er in seiner Aufregung gedanklich stotterte und sein Gott ihn nicht richtig verstehen konnte.
    »Hören Sie mal, als Mann Gottes haben Sie doch die Pflicht zu schweigen.« Marlies Engel rang mühsam um Fassung. Mit fahrigen Bewegungen strich sie ihren Rock glatt, der ebenfalls einige Kaffeeflecken abbekommen hatte. Sie schien es nicht zu bemerken.
    Pius nickte stumm. In seinem Hals bildete sich ein dicker Kloß. Am liebsten wäre er aufgesprungen und aus dem Haus gerannt. Heim ins Kloster. Zu Bruder Johannes. Zu einer großen Tafel Vollmilchschokolade. Zu seiner Familie.
    Mit einem Mal wurde die Stimme der Engel süß und klebrig wie ein Paradiesapfel vom Jahrmarkt.
    »Wissen Sie, Pater«, begann sie und rückte den zweiten Sessel näher an den von Pius, ehe sie darin Platz nahm. »Mein Mann hatte keine Höhenangst.«
    Pius’ Herz krampfte sich zusammen. Hatte die Witwe nicht mehrfach betont, ihr Mann habe unter unerträglichem Schwindel gelitten, wenn er nur auf eine Leiter gestiegen sei?
    »Er war aber jahrelang nicht auf dem Turm«, entgegnete Pius, dessen Stimme rau wie Zwieback war. »Zumindest seit ich in Spaichingen bin, habe ich ihn nie gesehen.«
    Die Engel lachte scheppernd. »Der war bloß zu faul, um die Treppen hochzusteigen!«
    »Und wieso kam er ausgerechnet in jener Nacht auf den Berg?« Pius platzte mit dieser Frage geradezu heraus.
    Die Engel schien seine Aufregung nicht zu bemerken. »Der ist öfter mal spazieren gegangen, wenn er nachts nicht schlafen konnte. Er hatte extra eine starke Taschenlampe für diese Zwecke. Warten Sie mal!« Marlies sprang erneut auf, ging zum Wohnzimmerbüffet und wühlte in der obersten Schublade. Endlich brachte sie eine schwere Maglite zum Vorschein. Solche mächtigen Taschenlampen kannte Pius aus Filmen, wo sie meistens bei der Armee zum Einsatz kamen.
    »Unkaputtbar!«
    Pius ahnte, dass er gleich noch mehr zu hören bekommen würde. Und richtig: Marlies Engel lehnte sich, nun beinahe entspannt, gegen das Sideboard. Die armdicke Taschenlampe wiegte sie wie ein Baby in ihrem Arm.
    »Manchmal kann ich auch nicht schlafen«, sagte sie.
    Pius beugte sich ein kleines Stück vor, denn die Engel sprach nun sehr leise.
    »Um ehrlich zu sein, ich habe seit Monaten kaum geschlafen.« Marlies Engels Stimme zitterte.
    »Warum?«, ermunterte Pius sie zum Weiterreden. Er wusste selbst nicht, welches Teufelchen ihn ritt, doch plötzlich hörte er sich selbst sagen: »Frau Engel, wenn Sie reden wollen, dann tun Sie das. Aber ich bin nicht als Ihr Priester hier.«
    »Ich pfeife auf das Beichtgeheimnis!«, rief Marlies.
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