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Kloster Northanger

Kloster Northanger

Titel: Kloster Northanger
Autoren: Jane Austen
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hoffe ich. Diese Mischung aus Liebedienerei und Überheblichkeit ist jedenfalls vielversprechend.«
    Was hier im Ansatz vorhanden ist, die Reflexion der Figuren über Sprache, bekommt in
Northanger Abbey
mehr Gewicht. Henry weist wiederholt seine Schwester und Catherine auf die Nachlässigkeit ihrer Ausdrucksweise hin, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass sie in Gefahr sind, den sprachlichen Stereotypen ihrer Umgebung zum Opfer zu fallen. Dem oberflächlichen oder gar doppeldeutigen gesellschaftlichen Verhalten entspricht ein Jargon von modisch-unpräzisem Vokabular, den Henry als derjenige, der auch die Gesellschaft selbst kritisiert, durchschaut. Wie kaum anders zu erwarten, sind es die Geschwister Thorpe, die verschiedenen Varianten dieses Slangs am stärksten verfallen sind. John begleitet alle seine Sätze mit einem Schwall von Flüchen und beweist dadurch, wie auch durch die Gesprächsthemen, mit denen er Catherine zu imponieren glaubt – Pferde, Kutschen, Saufgelage –, dass er von seinem rowdyhaften Studententum nicht loskommt und ein Egoist ist. Isabella findet alles »ungeheuer« schön oder schrecklich (der englische Ausdruck des Originals ist »amazing«) und dokumentiert damit ihr mangelndes Unterscheidungsvermögen und ihre Unwahrhaftigkeit auch sprachlich. Dass Jane Austens literarische Sprache von unbestechlichem Sprachsinn zeugt (und überhaupt zur schönsten englischen Prosa gehört), rückt sie in die Reihe der großen Romanciers der Weltliteratur. Eine Charakterisierung wie »Jane Austen vermeidet jeden Anflug von Vulgarität« ist daher von Wunschdenken bestimmt und trifft den wahren Sachverhalt kaum. Wie alle großen Romanciers spricht Jane Austen die Sprache ihrer Gestalten. Sie ist daher immer so vulgär wie die Gestalt, die spricht, und John Thorpe tut sich da besonders unrühmlich hervor.
    Wie die Sprache selbst in
Northanger Abbey
zum Thema wird, so auch der Roman. Indem die Autorin zwei Erzählgenres ihrer Zeit parodiert, trägt sie ein vehementes Plädoyer für das Lesen von Romanen vor, und wieder geht sie dabei in dem frühen Werk weiter als in den späteren Romanen. Der Austen-Leser ist vertraut damit, dass die Einstellung ihrer literarischen Gestalten zum Roman ihm signalisiert, was er von ihnen zu halten hat. Gnade finden vor den Augen der Autorin nur diejenigen ihrer eigenen Gestalten, die sich zum Roman bekennen. John Thorpes Einstellung »Ich lese nie Romane; ich habe etwas Besseres zu tun« entspricht seine sonstige Beschränktheit. Daraufhin nimmt Catherine an, dass es unter der Würde der Männer ist, Romane zu lesen, und wird von Henry Tilneys Bekenntnis aufs Angenehmste überrascht: »Wenn jemand, ganz gleich ob Herr oder Dame, einen guten Roman nicht mit Vergnügen liest, kann er nur unausstehlich dumm sein.« Aber über solche indirekten Stellungnahmen aus dem Mund ihrer Gestalten nimmt sie in
Northanger Abbey
mehrmals mit der autoritativen Stimme der Autorin zum Roman der Zeit, zu seinen Lesern, Kritikern und Heldinnen Stellung – am ausführlichsten im fünften Kapitel –, wehrt sich gegen das ungerechtfertigt geringe Ansehen dieser literarischen Gattung und beklagt auch hier die Unwahrhaftigkeit: Sogar die Romanschriftstellerinnen selbst lassen ihre Heldinnen immer wieder ihre Verachtung für das literarische Genre ausdrücken, deren Existenz sie doch auch ihr Dasein verdanken.
    Wenn Jane Austen also mit dem Roman ihrer Zeit literarisch spielt, darf das nicht als Plädoyer gegen den Roman insgesamt verstanden werden, sondern nur als Anregung für einen anderen Roman – für einen Roman, der den Leser nicht in phantastisch-unverbindliche Welten entführt und ihm dadurch eine angenehm gruselige Flucht aus der Wirklichkeit gestattet, sondern der die unmittelbare Lebenswelt des Lesers spiegelt und eine kritische Funktion in seinem Leben wahrnehmen kann. Darauf ist der Kommentar gegen Ende von
Northanger Abbey
gerichtet: »So reizend all die Werke von Mrs. Radcliffe und so reizend sogar die Werke all ihrer Nachahmer waren, nach wirklichkeitstreuen Charakteren durfte man darin nicht suchen, jedenfalls nicht in Mittelengland.« Der Realismus des 19. Jahrhunderts kündigt sich an.
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    So ist unter der Hand das Buch, das auf den ersten Blick nichts weiter zu sein scheint als ein literarischer Spaß, ein parodistischer Scherz, zu einem mehrdimensionalen Gebilde geworden, das die Parodie des gotischen Romans als Vehikel eines selbständigen Werkes benutzt und hinter sich
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