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Kloster Northanger

Kloster Northanger

Titel: Kloster Northanger
Autoren: Jane Austen
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Englands, von dem Zauber der eleganten städtischen Welt beeindruckt: Bälle und Tanz, Stadtbummel und Ausfahrten, die neueste Mode und – nicht zu vergessen – Verehrer. Im zweiten Kapitel findet sich diese typische Formulierung zweimal im Abstand von nur vier Zeilen: »to introduce a young lady into public […] our héroine’s entrée into life«, wobei beim zweiten Mal durch die Ausgefallenheit des französischen Wortes das Ironische bewusst gemacht wird. Der komödiantische Reiz dieser in so vielen Romanen vorgegebenen Konstellation ergibt sich in
Northanger Abbey
daraus, dass einmal die Autorin die Konventionen auch dieses Romantyps ständig durchbricht und mit ironischen Kommentaren begleitet, weil sie ihrer Heldin die aufregenden, unglaubwürdigen, abenteuerlichen Schicksalsmomente vorenthält, die der Leser erwartet. Schon das erste Kapitel bringt die völlige Desillusionierung des Lesers über Catherines Geburt, Kindheit und Jugend, die wohl für die Familie Austen zugleich deutliche Anspielungen auf Janes eigene Kindheit enthält. Zum anderen aber entlarvt Catherine die neue soziale Welt, die sie kennenlernt, indem sie ihre Doppelbödigkeit nicht begreift. Sie ist nur mit einer Welt vertraut, in der es Falschheit nicht gibt. Sie sagt, was sie meint, und meint, was sie sagt. Da alle ihre Gesprächspartner sich aber nach einem Code gesellschaftlichen Verhaltens bewegen, bei dem man sich nur dann richtig versteht, wenn man Schein und Sein genau zu unterscheiden weiß, wenn man das Gegenteil dessen sagt, was man meint, ist sie hilflos. Catherines Charme ist ihre Eindimensionalität. Sie
glaubt
, dass Isabella an den jungen Männern nicht interessiert ist, von denen sie dauernd redet und denen sie sogar nachläuft; sie
glaubt
, dass ihre Freundin nicht tanzen will, wenn sie es doch sagt, oder dass ihr nichts am Geld liegt, sondern alles an der Liebe James Morlands, wenn sie von einem Glück in Armut phantasiert; sie
glaubt
, dass Anne gern auf den Ausflug nach Clifton verzichtet, wenn sie es behauptet usw.
    Catherines unvoreingenommener, »natürlicher« Umgang mit dieser Welt der Unwahrhaftigkeit führt zu allen möglichen Missverständnissen. Wenn sie ihre Gesprächspartner wörtlich nimmt, enthüllt sie, ohne es zu ahnen, deren Hintergedanken und ist obendrein für sie frustrierend, weil sie dabei nicht die Rolle spielt, die ihr zugedacht ist. Ihre unerwartete Reaktion stört den reibungslosen Ablauf des alltäglichen Umgangs und erscheint als Begriffsstutzigkeit. Bei aller Unvergleichbarkeit der beiden Figuren hat sie Züge von Schwejk.
    Steht Catherine also gewissermaßen
unterhalb
dieser Welt der gesellschaftlichen Fassade, in der echte Empfindungen nicht zu Hause sind, so Henry Tilney
oberhalb
davon. Schon sein erstes Gespräch mit ihr beim Tanzen macht das deutlich: Er beherrscht die gesellschaftlichen Konventionen so vollkommen, dass er mit ihnen spielen und sie zum Zweck der Enthüllung ins Bewusstsein heben kann. Er ironisiert, was er den Konventionen entsprechend sagen müsste, aber nicht meint. Dieser ironische Umgang mit den schematisierten und unehrlichen menschlichen Beziehungen wirkt auf Catherine noch verwirrender als die ernsthafte gesellschaftliche Fassade ihrer anderen Gesprächspartner. Nie weiß sie, was sie davon zu halten hat. Mit dieser kritischen Haltung spielt Henry Tilney
innerhalb
des Romans genau die Rolle, die Jane Austen als Autorin
außerhalb
davon spielt: Beide sind die ironisierende, distanzierende und damit pädagogische Instanz.
    Noch in einer weiteren Hinsicht ist Henry Tilneys Funktion der Schriftstellerin selbst ähnlich: Seine Kritik am Verfall der Sprache ist, so scheint es, die Kritik der Autorin, und
Northanger Abbey
geht darin einen Schritt über ihre anderen Werke hinaus, denn hier verwendet sie das Motiv nicht nur, sondern lässt Sprache zugleich von den Gestalten des Buches diskutieren. Der Austen-Leser ist es gewohnt, dass richtiger Sprachgebrauch und angemessene Lebenseinstellung Hand in Hand gehen, dass eine korrupte, falsche, altmodische, achtlose, überladene Sprache seelische Mängel offenbart. Mr. Collins zum Beispiel in
Pride and Prejudice
ist schon gerichtet, bevor er überhaupt zum ersten Mal erscheint, denn er kündigt sein Kommen in einem völlig überkandidelten Brief an, auf den die Heldin des Buches und ihr Vater folgendermaßen reagieren:
    »Kann er ein vernünftiger Mensch sein, Vater?«
»Nein, mein Kind, ich glaube nicht; ganz im Gegenteil,
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