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Klick mich: Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin (German Edition)

Klick mich: Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin (German Edition)

Titel: Klick mich: Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin (German Edition)
Autoren: Julia Schramm
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unbedeutend. Jeder Schritt wird analysiert. Jeder Gedanke, jede Aussage entscheidet plötzlich darüber, ob der Rubikon überschritten wurde. Die Empörung immer im Na cken. Die Folge ist eine intensive, vielleicht zu intensive Innenschau. Man wird leicht zum Objekt der eigenen Psyche – und zum Sklaven der Vorstellungen, wie man von anderen gesehen werden will.
    In solchen Momenten der Reflexion kommt Maya ins Spiel. Wir sind Freunde. Eigentlich. Denn wir sind auch Konkurrenten. Nicht um Männer, sondern vielmehr um Individualität. Die Männer haben es nur verschärft. Der Auslöser für den ersten echten Streit war trivial, aber entscheidend, denn Mayas Art, sich auf Kosten anderer in Szene zu setzen, ist ein Problem. In regelmäßigen Abständen nutzt sie Indiskretionen, um mich vor einer Gruppe Menschen herabzuwürdigen. Sie verkauft es dann als Witz. Blicke ich heute darauf zurück, würde ich gerne lachen. Sie ist immer da, auch wenn ich sie nicht sehen will. Sie ist nur einen Klick entfernt. Als sie mit Christian zusammenkam, starrte ich am Tag mehrfach auf ihr Profil, verfolgte ihre Spuren, die sie auf anderen Profilen hinterließ, suchte nach Mustern, nach Erkenntnissen. Und wenn wir uns dann trafen, tat ich völlig unbedarft. Wir sind ja Freunde.
    Dabei verfolgt sie mich in den digitalen Sphären so, wie ich sie verfolge. Warum? Weil es geht. Maya antwortet zum Beispiel auf mich, indem sie in einem ihrer digitalen Profile bei Twitter oder sonst wo eine Andeutung macht. Die andere muss im mer im Bewusstsein haben, dass sie beobachtet wird. Manchmal ergänzt sie beispielsweise als ihre Lieblingsfilme exakt diejenigen, die ich einige Tage zuvor als die schlechtesten Filme aller Zeiten bewertet hatte. Manchmal fügt sie einen Film hinzu, den ich dann gucke, um wiederum in 140 Zeichen zu elabo rieren, warum jener Film eine Katastrophe sei. Sie liest alle Nachrichten von laprintemps, und ein bisschen schreibt laprintemps diese Nachrichten auch für Maya. Und laprintemps glaubt, dass Maya das Gleiche tut. Die digitalen Profile sind die Schaufenster des Ich, in dem jede noch so blasse Identität zum Ich 2 getunt werden kann. Manchmal tut Maya im Gespräch so, als wüsste sie nicht, was laprintemps am Tag zuvor gepostet hat. Und andersrum.
    Digitale Kommunikation schürt schnell Erwartungen, die nicht zu erfüllen sind. Da braucht sich nur eine von uns mal wieder in der natürlichen Latenz der Internetkommunikation vernachlässigt fühlen. (Trotzdem verläuft eine solche Eskalation in der körperlosen Welt anders, denn auch der Unmut wird gefiltert. Wie oft schon weinte ich am Telefon, ohne dass es der andere merkte?) Nicht selten läuft die Kommunikation über Bande, im Indirekten. Meint sie nun mich? Spricht sie mich an? Will sie das? Oh, bestimmt meint sie nicht mich. Aber wen denn sonst? Unkonkrete Häme und Hetze verletzen diejenigen, die sich angesprochen fühlen. Auch wenn sie nicht gemeint sind. Wie ein Hintergrundflackern, das immer wieder aufflammt, aber nicht zuzuordnen ist, macht es paranoid. Und still. Schließlich ist einsam, wer alles auf sich bezieht.
    Die unadressierte Demütigung kann jederzeit zu schlagen, den Tag aus den Angeln heben und den Selbstwert vollständig entleeren. Diese unbestimmte Angst, jeden Tag mit Angriffen konfrontiert zu sein, macht so mürbe wie der ständige Versuch, die Konfliktlinien, die sich im Unbestimmten verstecken, zu detektieren. Zwischen berechtigter Kritik und Verschwörungstheorien versteckt sich alltäglicher Ärger, Frust und Neid. Und manche schreien diese Abgründe in den Raum. Obwohl die Person, die angesprochen ist, neben ihnen steht.
    – Wie geht’s? (Mein Instant Messenger blinkt und reißt mich aus meinen Gedanken. Mortensen.)
    – Schlecht :)
    – Was los?
    – (Ja, das frage ich mich auch.) Macht doch alles keinen Sinn.
    – Ich würde dir ja jetzt sagen, dass alles gut wird und so. Aber an dir prallt ja alles ab.
    – Sowieso. Bin wie unter einer Glasglocke, die alle Gefühle abschirmt. Einfach überfordert. Jeden Tag bricht die Welt über mir zusammen. Jeden Tag verzweifle ich an den Möglichkeiten und der Arbeit, die keiner macht. Auch ich nicht! Ich bin nutzlos. Was tue ich denn? Ich konserviere, dokumentiere. Mehr nicht. Ich sehe diese Welt neben mir in den Abgrund gleiten und kann nichts tun.
    – Hat anx sich gemeldet?
    – Ja, war ja zu erwarten. Ach, ich will sowieso nicht. Verdammt. Egal. Alles egal. Ich bin mal weg.
    Ich gehe offline,
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