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Klick mich: Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin (German Edition)

Klick mich: Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin (German Edition)

Titel: Klick mich: Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin (German Edition)
Autoren: Julia Schramm
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besten noch, was sie denken sollen? Ich frage mich auch, von welchen Inhalten wir hier reden? Dass Kinder beziehungsweise Menschen allgemein keine Videos sehen sollten, in denen Menschen abgeschlachtet werden, leuchtet mir ein, aber: Wo fängt denn der Schutz an und wie alt sollen Kinder sein? Sie können doch 17-Jährige nicht mit 8-Jährigen vergleichen.
    Mortensen wird nun ernst, denn Bevormundung löst bei ihm allergische Verbalreaktionen aus. Der Jugendschützer holt abermals zum Schlag aus, wird jedoch von dem Politiker überholt, der sich ausschweifend zum Primat der Politik äußert, zu den Sorgen der Eltern und der Gefahr des Netzes. Eigentlich wiederholt er nur, was wir schon gehört haben. Ich höre nicht mehr zu und lese lieber, was meine Bekannten in den sozialen Netzwerken so schreiben. Doch plötzlich hat die Diskussionsrunde meine Aufmerksamkeit wieder.
    – Die Moderatorin: Das grundlegende Problem ist, dass Deutschland seine nationalen Gesetze nicht auf das internationale Medium Internet anwenden kann, ohne dabei …
    – Der Medienpädagoge: Vor allem dürfen wir nicht den Fehler machen zu glauben, dass das Internet gleich dem Rundfunk zu regulieren sei. Besonders Vertreter meiner Generation, aufgewachsen mit monodirektionalen Medien, vergessen, dass in den digitalen Zeiten jeder zum Sender und Empfänger wird. Die Kontrolle der Sender kommt somit einer Kontrolle der Bevölkerung nahe.
    Hach, denke ich mir, ich mag den alten, grauhaarigen Medienpädagogen. Die Moderatorin interpretiert das Schweigen als Ende, verzichtet auf eine redundante Zusammenfassung und eröffnet stattdessen die Fragerunde, die genauso redundant ist wie die ganze Diskussion. Ich nutze die Gunst der Stunde und verlasse den Raum. Ich fühle mich in meiner Abneigung gegen Podiumsdiskussionen bestätigt. Nächste Woche mache ich es besser.

Flirten lernen mit Pädophilen im Teenchat
    tl;dr: Die Tatsache, dass ich zuerst digital entjungfert wurde, machte Flirten und Sichverlieben im analogen Leben nicht unbedingt einfacher.
    Mit 13 oder 14 entdeckte chloe.f.f.w das anonyme Chatten. Es trieb sie, oftmals zusammen mit ihren Freundinnen, in Chaträume wie »Zauberwald« und »TeenSpirit«, die weniger anrüchig klangen, als sie waren. Ihr war immer bewusst, dass sie in den Sphären des Chats wachsam sein musste und vor allem nicht glauben durfte, was ihr irgendwelche Identitäten erzählten. Oft redete sie mit Tobi17, der sie entjungfern wollte, oder Alex15, der mit ihr in einen Privatraum gehen wollte. Manchmal ging sie mit und las von den wilden Sexphantasien wahrscheinlich erwachsener Männer oder hochpubertierender Jungs. Oder Frauen?
    Wie sie ihr die Vagina rasieren oder an ihren Zehen lutschen wollten; ihre Brüste anfassen und ihr den Hintern versohlen, sie zum Schreien und Tropfen bringen wollten. Dabei kicherte sie in sich hinein oder lachte schallend mit ihren Freundinnen vor dem Computer. Manchmal war sie auch peinlich berührt oder gar erregt, aber die Tatsache, dass sie immer den Stecker ziehen konnte, wenn sie das wollte, gab ihr Sicherheit und Kontrolle. Ihren echten Namen oder ihre Adresse gab sie nie an, stattdessen war sie sehr kreativ, wenn es um das Erfinden von Identitäten ging. Die wechselnden Ichs waren nicht nur durch Kennzeichen wie Name, Kontaktdaten, Geburtstag und -ort und körperliche Merkmale charakterisiert, sondern auch durch geschilderte Erfahrungen, Ansichten und Lebensumstände.
    Mal schlüpfte sie in die Rolle des mittellosen Arbeiterkindes, dessen Eltern sich getrennt hatten, weil Fernfahrerpapi von Nagelstudiomutti mit dem Kegelklubfreund betrogen wurde. Oder sie lebte im Ausland und war das einsame Kind eines saudischen Scheichs auf einer weitläufigen Farm mit goldenen Armaturen und musste Deutsch lernen, weil ihr Vater glühender Anhänger Hitlers war. Oder sie war ein naives Pferdemädchen auf der Suche nach der Online-Ausgabe von Wendy . Manchmal begriff sie sich als kommunistischer Provokateur oder widersprach einfach jeder Aussage, unabhängig von ihrem Gehalt. So lernte sie, ein Troll , ein destruktiver Internetbenutzer, zu sein.
    Einmal traf sie sich mit einem aus diesem Internet. Er war tatsächlich in ihrem Alter und sie verabredeten sich in Begleitung von Freunden auf einem Jahr markt. Dabei funkte es verwirrenderweise zwischen chloe.f.f.w und dem Kumpel des Typen, den sie anschließend dann doch per SMS abservierte und dessen folgende Kontaktversuche sie ignorierte. Abschalten ist
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