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Kleiner Hund und große Liebe

Kleiner Hund und große Liebe

Titel: Kleiner Hund und große Liebe
Autoren: Berte Bratt
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beide sehr tapfer sein. Ja, gerade wir beide! Mama hängt auch sehr an Barry, aber du weißt, du und ich, wir werden wohl doch am meisten zu leiden haben. Dann darfst du nicht vergessen, daß wir immer das Beste für Barry tun wollen. Wenn wir sehen, daß ein sanfter Tod das Beste für ihn ist, wollen wir es ihm gönnen. Verstehst du das, Lillepus?“
    Ich mußte gewaltig schlucken. „Ja, Paps. Ich verstehe es. Und wenn es soweit ist, werde ich tapfer sein. Aber es tut wahnsinnig weh, wenn ich daran denke.“ Papa strich mir übers Haar.
    „Wem sagst du das, Kind? Aber jetzt werden wir uns über jeden Tag freuen, den wir noch mit unserem Barry verleben dürfen, und nicht immer an das Traurige denken, von dem wir wissen, daß es einmal kommen muß. Du denkst doch nicht immer daran, daß wir auch einmal sterben müssen?“
    „Nein“, gab ich zu. „Das tue ich nicht. Wenn ich daran denken würde, daß ich dich und Mama einmal verlieren muß, dann würde ich ja wahnsinnig werden!“
    „Wir müssen eben alles so hinnehmen, wie der liebe Gott und die Natur es wollen“, sagte Papa. „Und der Tod ist etwas ebenso Natürliches wie die Geburt!“
    Ich küßte Papas Wange und ging zur Tür. Draußen hatte ich Barrys Kratzen gehört. Ich machte auf und ließ ihn herein.
    Es war ein heller, sonniger Apriltag.
    Ich kam aus der Schule, und als ich in unsere Straße einbog, kam Barry mir entgegengelaufen, langsam und bedächtig, aber vergnügt und schwanzwedelnd, so wie er mich seit beinahe zehn Jahren jeden Tag begrüßt hatte. Auf dem Torpfosten saß Anton, wie immer, er sprang auf Barrys Rücken - wie immer. Ja, noch hatten wir unsere beiden lieben Tiere, noch konnten wir uns darüber freuen.
    Heute nachmittag wollte ich zum Reiten, und darauf freute ich mich immer. Außerdem war ich in der Schule wegen meines Aufsatzes gelobt worden - also hatte ich viele Gründe, guter Laune zu sein! „Mama, weißt du, mein Aufsatz - aber Mamilein, was hast du?“ Mama hatte mir wie immer die Tür aufgemacht, jetzt stand sie vor mir, mit unverkennbar rotgeweinten Augen. „Mamilein, was ist denn los? Etwas mit Omi?“ Sie schüttelte den Kopf.
    „Nein, Elainchen, aber Tante Elsbeth ist krank. Sie hat.“, Mama schluckte, „sie hat einen Schlaganfall erlitten. Sie wurde vor einer Stunde ins Krankenhaus gebracht.“
    „O Mama, ist das schlimm? Ist es sehr gefährlich? Kann sie -wird sie sterben?“
    „Ja, mein Kind, es ist sehr gefährlich. Tante Elsbeth wurde mit Blaulicht zum Krankenhaus gefahren. Ich habe einen Augenblick mit dem Arzt gesprochen; Frau Janssen rief mich herunter, als es passierte, ich war da, als der Arzt kam. Tante Elsbeth wurde sofort auf die Intensivstation verlegt.“
    „War sie bewußtlos, Mami?“
    „Ja. Frau Janssen kriegt Bescheid vom Krankenhaus, sobald sich ihr Zustand ändert.“
    „Und Tante Elsbeths Familie?“
    „Ich habe den Sohn benachrichtigt. Er ist schon im Krankenhaus.“
    „Mama, ich kann es nicht fassen. Es ist so schrecklich - gestern habe ich noch mit Tante Elsbeth gesprochen...“
    „Du weißt, Tante Elsbeth ist alt, Elainchen, und sie hat schon seit Jahren ein schwaches Herz. Komm, Kind, wir können nichts anderes tun als warten! Deckst du bitte den Tisch, ich bin so aufgehalten worden; ich muß in die Küche! Papa wird wohl gleich kommen.“
    Der Eßtisch war voller Fotos. Es waren Mamas Aufnahmen von grand-mères Geburtstag. Ich sammelte die Bilder, sah mir ein paar davon an. Die liebe, fröhliche grand-mère! Achtzig Jahre alt war sie - auch sie war sehr alt, noch älter als Tante Elsbeth - eines Tages würden wir auch grand-mère verlieren. Da war noch Tante Cosima. Auch sie war nicht mehr die Jüngste, und auch sie würden wir verlieren. Das waren neue, schreckliche Gedanken.
    Barry kam zu mir herüber und rieb seinen großen Kopf an meinen Körper. Ich biß mir auf die Lippen, ich versuchte, den Kloß im Hals loszuwerden. Auch Barry würden wir verlieren, und es würde bald soweit sein.
    „Der Tod ist eben genauso natürlich wie die Geburt“, hatte Papa gesagt. Aber bis jetzt hatte ich nie an den Tod gedacht. Das Leben lag vor mir, ich machte Zukunftspläne; ich dachte an den Beruf, den ich erlernen möchte, ich dachte an Reisen, an das Abitur, an alles, was mir bevorstand.
    Zum erstenmal wurde mir bewußt, daß auch für mich selbst alles eines Tages vorbei sein würde. Auch für mich.
    Barry winselte und ging zur Tür. Ich ließ ihn in den Flur hinaus und gab Mama Bescheid.
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