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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe
Autoren: Silke Schuetze
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und ich ja noch zerstritten.
    Ich ergreife seine Hand. »Kannst du nicht doch noch bleiben? Dann würdest du meine Freunde kennenlernen.« Aber Andreas verzieht ablehnend den Mund. »Nein, das geht nicht. Du weißt doch: Dienstpläne sind verbindlich.« Er sieht aus dem Fenster. »Hast du was dagegen, wenn ich jetzt laufen gehe? Ich nehme dafür die Kinder gern nachher.« Er geht mit steifem Rücken aus der Küche und lässt mich bedrückt zurück. Wollte er nicht mit mir gemeinsam laufen? Irgendetwas hat sich hauchdünn und kühl zwischen uns und unsere neu gefundene Innigkeit geschoben. Was hat Andreas gegen die Party? Er feiert doch ebenso gern wie ich. Habe ich etwas gesagt, das ihn verärgert hat? Ich gehe unsere Unterhaltung noch einmal Satz für Satz durch. Aber mir fällt nichts auf. Und dann schiebe ich diesen Gedanken beiseite. Das sind doch genau die alten Gleise, die ich nicht mehr befahren will! Als Andreas vom Laufen zurückkommt, ist er zwar stiller als sonst, aber genauso so liebevoll und leidenschaftlich wie in den vergangenen Tagen. In seiner letzten Nacht in Hamburg halten wir uns eng umschlungen. Der zarte Hauch Fremdheit, den ich seit dem Gespräch über die Party zwischen uns spüre, hindert mich daran, ihn zu fragen, wann er wiederkommt. Er selbst sagt auch nichts. Was geht nur in ihm vor? Ich traue mich nicht, ihn zu fragen. Wenn er sich wieder von mir abwenden würde, könnte ich das nicht ertragen. Ich möchte ihn am liebsten nicht loslassen, und aus einem traurigen Instinkt heraus versuche ich, jeden Kuss, jede Berührung so zu genießen, als ob es das letzte Mal sei.

    Vor seiner Abreise bittet mich Andreas, allein mit den Kindern zum Spielplatz gehen zu dürfen. »Ich möchte mich von ihnen verabschieden, auf meine Weise. Wer weiß …« Er unterbricht sich, schluckt und sieht an mir vorbei auf Bim und Mi, die im Spielzimmer mit ihren Bauklötzen spielen.
    Wer weiß, wann du sie wieder siehst? , vollende ich in Gedanken seinen Satz. Die Frage nach unserer Zukunft steht weiter unausgesprochen zwischen uns. Ich wage nicht, sie anzuschneiden, weil ich befürchte, dass wir uns wieder darüber streiten, ob ich nach Dänemark ziehe.
    Der Abschied kommt viel zu schnell. Wir umarmen uns, dann gibt er den Kindern Küsse und schultert seine Tasche. »Ich melde mich. Feiert schön!«
    Als er über den Hof geht, rufe ich ihm nach: »Guten Rutsch!«
    Er dreht sich um und winkt. »Bis bald!« Dann verschwindet er in der Ausfahrt, und ich bleibe mit meinen unausgesprochenen Fragen zurück. Hat unsere Liebe eine Zukunft? Kommst du wieder? Wie soll ich ohne dich leben?

    Andreas ruft an, als er gut angekommen ist. Ich presse den Telefonhörer an mein Ohr, möchte weiter seine Stimme hören. Aber er hat keine Zeit, sondern muss sofort ins Krankenhaus. »Ich vermisse dich!«, sage ich. »Ich vermisse dich viel mehr«, antwortet er. Dann muss er auflegen. Und ich weiß nicht, was größer ist – meine Traurigkeit, mein Glück oder meine Sehnsucht. Ich habe ihn noch nicht einmal gefragt, wann ich ihn wieder anrufen kann.

    Am nächsten Morgen, dem Silvestermorgen, hole ich die Post aus dem Briefkasten. In der Küche sitzt bereits Tina und schält Kartoffeln.
    »Guck mal!« Ich halte einen Briefumschlag hoch. »Das Buch von Dr.Fohringer ist erschienen.«
    Gemeinsam betrachten wir die Karte, die auf das Buch mit dem Titel »Eine gute Entscheidung – Eltern werden mit über 40« hinweist. Auf der Karte prangt ein Porträtfoto von Fohringer. »Mit dem Bild hat er sofort hundert Käuferinnen mehr und wird ebenso viele gebärfreudige Frauen über vierzig motivieren«, befindet Tina. »Egal, was in dem Buch steht.« Sie sieht mich auffordernd an. »Weißt du denn jetzt, wie es mit dir und Andreas weitergeht?«
    Ich antworte ehrlich: »Nein.«
    »Liebst du ihn noch?«
    »Ja.« Mehr kann ich nicht sagen. Ich vermisse ihn sehr. Mit Herzklopfen und Sehnsucht.
    »Willst du zu ihm nach Dänemark ziehen?«
    Tina kann ich meinen Widerstand viel leichter erklären als Andreas. »Nein, das geht nicht. Als junge Frau wünschte ich mir nur Mann-Haus-Kind. Jetzt aber gibt es so viele Facetten mehr in meinem Leben …«
    »Aber es gibt Kind, Mann und sogar Haus!«
    »Letzteres nur gemietet«, erinnere ich sie. »Zuallererst gibt es in meinem Leben ein Kind. Und auch ein Mann, Andreas, könnte seinen Platz darin haben. Aber ich weiß noch nicht, wie – oder ob sie beide unbedingt an einem Ort sein müssen.«
    Tina nickt
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