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Kleine Rache zwischendurch (German Edition)

Kleine Rache zwischendurch (German Edition)

Titel: Kleine Rache zwischendurch (German Edition)
Autoren: Walter Fritz Müller
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Gespinst in Konflikt. Julia griff nach ihrer Lieblingslektüre, die auf dem Tisch lag. Es war die Vogue. Doch kaum hatte sie die Zeitschrift in der Hand, als etwas zu Boden fiel. Das Geräusch war auf dem dicken Teppich kaum zu hören. Sie blickte nach unten und erschrak: Da lag der Nagelreiniger ihrer Großmutter. Der geschnitzte Elfenbeingriff mit der Schildpatteinlage leuchtete ihr entgegen. Sie bückte sich und nahm ihn auf. Rex hatte ihn in dem Amsterdamer Büro hinter dem Schrank gefunden. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Als sie endlich sprechen konnte, sagte sie mit zitternder Stimme zu Rex, der noch immer am Fenster stand und Julia nicht ansah: »Du weißt alles, Rex?«
    Rex drehte sich um, ging langsam auf die Liege zu und setzte sich neben Julia. Er legte seine Hand auf ihre Schulter und schwieg. Er überlegte, wie er sie trösten könnte. Überwältigt schossen ihr Tränen in die Augen, sie schluchzte, umschlang seinen Hals und presste sich an ihn, so fest sie konnte. Das Verhältnis Vater - Tochter konnte jeden Augenblick kippen, wenn Rex nicht vernünftig blieb. Julia war völlig aufgelöst, sie wusste nicht, was sie tat, es war einfach ein Reflex, sich zu unterwerfen, um ihre Haut zu retten, ein Instinkt der Hingabe an den Sieger, dem ein anderer Instinkt verbot, das Opfer anzunehmen, überkommen aus Urzeiten. Julia hatte jahrelang in ständiger Gefahr gelebt, brenzlige Lagen nur äußerst besonnen meistern können. Sie durfte sich bei Strafe ihres Unterganges nie ihrem Gefühl hingeben. Aber jetzt musste sie zusammenbrechen. Ihr ganzer Körper wurde wie im Fieber geschüttelt, ihr Herz hämmerte, sie keuchte wie unter einer schweren Last, sie dampfte. Rex verstand nur Wortfetzen. Mühsam setze er zusammen, was sie ihm sagen wollte: Er möge ihr verzeihen, nur dieses eine Mal noch, sie wolle nun wirklich und endgültig aufhören, nur noch die liebende Gattin sein, sich für ihren Mann schön machen und nie wieder, nie wieder ...
    Rex fürchtete, Armin könnte heraufkommen. Er befreite sich aus ihrer Umklammerung, stand auf, packte sie an den Oberarmen und zwang sie aufzustehen. Er musste sie festhalten, ihre Beine knickten weg, sie sackte zusammen wie eine Gummipuppe voller Sand. Er redete auf sie ein, sie solle sich beruhigen, es sei doch nichts geschehen.
    »Fasse dich, Kind!«, rief er und schüttelte sie. Doch Julia spielte noch immer die ganz Erschlaffte. Sie war ohne jeden Willen, gab sich vollkommen erledigt und vertraute auf das, was sie von ihrem ersten Ehemann, dem Schauspieler Ramon Feuerdorn gelernt hatte. Was sie tat, war Rex gegenüber äußerst unfair. Aber was sollte sie anderes tun? Ihr fiel so schnell nichts Besseres ein.
    Rex hörte Schritte auf den Kellerstufen, er hob Julia auf und trug sie die Treppe hinauf in ihr Boudoir. Es muss eine unwahrscheinliche Anstrengung für ihn gewesen sein, nicht weil er Julia als Last empfand - ihr Gewicht spielte bei seiner Masse kaum eine Rolle - nein, das war es nicht: Rex Palmer war noch nie im Leben so schnell eine Treppe hinaufgehastet.
    Julia wäre nicht Julia gewesen, wenn sie sich nicht innerhalb weniger Minuten gefasst hätte. Sie hörte auf zu weinen, korrigierte ihr Make-up und setzte auf Rex` Verlangen ein strahlendes Lächeln auf; schließlich brauchte Armin nichts zu merken. Wieder hergestellt, bedankte sie sich bei Rex, ihrem Ersatzvater, und versprach, jetzt sofort und für alle Zeit ihren Beruf wirklich und wahrhaftig aufzugeben. Sie tat, als hätte sie keine Ahnung, was vor wenigen Minuten geschehen war. Rex blickte ihr forschend ins Gesicht. Ein bisschen misstrauisch war er doch geworden. Vielleicht hatte Julia sich etwas zu theatralisch aufgeführt.
    25.
    Zwei Tage lang überlegte Julia. Zwei Tage lang versuchte sie, jede Regung zu unterdrücken und ihre Lage streng logisch zu analysieren. Sie musste verschwinden, einfach raus hier. Sie war von zu vielen Personen abhängig geworden.
    Als Erstes störte ihre Ehe. Julia besaß keinen Freiraum mehr. Wohin auch immer sie ging, stets musste sie beweisen, genau dort nicht gewesen zu sein. Sie hatte nicht nur jede ihrer Aktionen exakt zu planen, die Risiken abzuschätzen und sich gegen Überraschungen bei ihrer Arbeit zu sichern, sie musste auch noch damit rechnen, zufällig von einem Bekannten gesehen zu werden. Folglich war eine neue Ausrede fällig. Armin störte.
    Dann Sandra. Julia hatte ihr eine Lesbierin vorgespielt, nur um endlich vor ihren bohrenden Fragen und nervenden
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