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Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Titel: Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
Autoren: Karl Brunner
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eine Ausrede für den hohen Alkoholkonsum der Oberschichten gewesen sein. Stehendes Wasser war schnell verdorben, die unregulierten Flüsse waren organisch verschmutzt. Die antiken Techniken beim Zisternenbau beherrschte man nicht mehr. Der antike Baumeister Vitruv (Ende 1. Jh. v. Chr.), dessen Werk «Über die Architektur» noch im Mittelalter als Handbuch herangezogen wurde, erwähnt die Zisternen nur knapp (VI 14f.). Für die Versorgung von Burgen wurden oft aufwändige Wasserleitungen gelegt, die aber wegen ihrer Holzröhren archäologisch nicht leicht nachzuweisen sind. In Städten war die Wasserversorgung ein ernstes Problem, weil die Brunnen leicht verschmutzt wurden (vgl. S. 150). Der «Brunnen vor dem Tore» war im Idealfall eine fließende Quelle; das mittelhochdeutsche Wort
brunne
meint meistens fließendes Wasser.
Habitus
    Mittelalterliche Texte beschreiben das Äußere von Personen zumeist als Abbild ihres Charakters und ihrer gesellschaftlichen Stellung. Schön sind der Herr und die Dame, die formelle Anrede lautete im Französischen
biaux sire
und
bele dame,
«schöner Herr» und «schöne Dame». Schön und gut, καλς καγαθς, zu sein war schon in der Antike ein Ideal und blieb es auch noch Jahrhunderte danach. Schönheit war eine soziale Kategorie, die sich durch das privilegierte Leben sichtbar in die Körper einschrieb. Sie wird von der eingeübten Haltung und der repräsentativen Kleidung unterstrichen. Menschen, die sich am Hof bewegen sollten, bekamen eine besondere Ausbildung, die von einfachsten Gebärden bis zum zeremoniellen Tanz reichte. Maßvoll sollten alle Bewegungen sein.
    Der Habitus adeliger Männer lässt die Ausbildung zum Krieger deutlich erkennen; adeligen Damen sieht man an, dass sie sich wenig körperlich anstrengen mussten. Auf vielen Bildern haben sie ein kleines Bäuchlein, als ob sie schwanger wären, denn Fruchtbarkeit war ein hohes Gut.
Schönheit
    Ich zeichne ein Idealbild, aus vielen Quellen zusammengesetzt. Zeitlose Stereotype mischten sich mit zeitbezogenen Vorlieben. Eine schöne (und meist sehr junge) Frau hat eine weiße Haut als ein
liligen blat,
wie ein Lilienblatt; sie muss sich ja nie ungeschützt der Sonne aussetzen. Die Haare sind wohlgekämmt, fein und seidig, auf Bildern sieht man Locken seitlich am Gesicht, und manchmal trägt ein Mädchen Zöpfe. Für viele Autoren, vor allem im Süden, ist sie blond, es gibt aber auch dunkle Schöne. Unterwegs sind ihre Haare immer bedeckt. Es ist eine besondere Geste, wenn sie Kopftuch oder Kapuze abnimmt.
    Ihre Stirn ist (nicht zu) hoch, glatt und rund, die Augenbrauen sind schmal, wohlgezeichnet und stehen nicht zu eng beisammen,die Augen sind klar, fröhlich und stehen gut zu Gesicht. Sie sind Spiegel und Fenster der Seele. Die Wangen sind wie Milch und Blut,
wîplîch
eben, weiblich. Ohren, Nase, Kinn und Mund – der natürlich rosenrot ist – sind
minnechlîche,
lieblich, und nicht zu groß. Sie hat weder Puder noch Schminke nötig und sie hat gesunde Zähne von
snêwîzem beine nâhe bî ein ander cleine
(Wolfram, Parzival 130, 11f.): schneeweiß, nahe beieinander und nicht zu groß. Sie hat schlanke Hände, Arme und lange Finger. Sie ist schlank, der Leib
wol geschaffen unde smal unde wîblîch genûch
(Heinrich von Veldeke, Eneas 146, 37f.). Ihre Taille ist wie die einer Ameise; was unterhalb ist, wird nur angedeutet. Ihre
brüstlîn
sind klein, zart und weiß und ragen wohlgerundet hoch, wie gedrechselt, man kann sie mit einer Hand umfangen.
    Aber auch Männer, junge vor allem, sollten schön sein und waren es in den Augen ihrer Zeitgenossinnen und Zeitgenossen – wie David im Alten Testament (1 Sam 16, 12) oder wie einer der Helden aus den Ritterromanen. Selbst Äbte werden im Nachruf gerühmt, dass sie schön anzusehen waren, und ein junger Musteradeliger kann gar nicht anders, als seine schöne Seele mit einem wohlgeformten Körper zu zeigen. Eine der angebotenen Etymologien für «Held» wird auf indogermanisch
*kel,
schön, tüchtig, zurückgeführt.
    Vor allem aber sollten sie stark sein, schnell und behände. Wenn möglich, zeigen sie schlanke Waden und schöne Beine. Während bei Ovid um die Zeitenwende
forma viros neglecta decet
(Ars amatoria I v. 503), nachlässige Schönheit den Männern steht, muss der adelige junge Mann im Mittelalter mehr auf seinen Körper achten. Lässigkeit kann sich nur ein Ausnahmeheld wie Gahmuret, der Vater Parzivals, leisten (63, 14), und auch er nimmt sich
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