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Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Titel: Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
Autoren: Karl Brunner
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nicht recht fassbaren Ärztin Trotula aus Salerno (11. oder 12. Jh.) gibt es spezielle Handschriften zur Frauenmedizin, die weit verbreitet waren. Ein männlicher Arzt sollte Frauen nicht anrühren.
    Unter den Mitteln, die einer Frau bei der Geburt helfen sollten, finden sich auch solche, deren Funktion wir heute nur mehr schwer nachvollziehen können, wie z.B. bestimmte Edelsteine, denen besondere Kräfte zugeschrieben wurden. Vermutlich haben sie wirklich geholfen: Man muss sich nur vorstellen, welch besonderes Gefühl es einer hochschwangeren Frau geben musste, wenn ihre Familie für sie und das Kind einen solchen Aufwand trieb.
Kleinkind
    Frauen der Oberschicht stillten ihre Kinder selten selbst, sondern vertrauten sie dazu Ammen an, deren Stellung im Haushalt angesehen war. Das hat mit dem mittelalterlichen Schönheitsideal zu tun, das kleine Brüste vorzog, aber auch damit, dass Adeligeständig unterwegs waren und ihre Frauen bei wichtigen Anlässen möglichst dabei sein sollten.
    Es wurden aber immer wieder regelrechte Kampagnen dafür geführt, dass Frauen ihre Kinder selbst stillen sollten, und man hielt ihnen das Beispiel der Gottesmutter vor, wofür es allerdings keine rechte biblische Evidenz gibt. Das herangezogene Zitat (Lk 11, 27) ist ein allgemeiner Segenswunsch: «Selig die Frau, deren Leib dich getragen und deren Brust dich genährt hat.» Bilder der stillenden Madonna
(madonna lactans)
waren im Mittelalter häufig. Ihr Typus geht bis auf die Darstellungen der ägyptischen Göttin Isis mit dem Horusknaben zurück. Sie haben nicht nur eine tiefe religiöse Bedeutung, sondern zeigen auch, dass der Anblick einer stillenden Frau keinesfalls als anstößig gelten konnte. Im Gegenteil: Auf manchen Bildern bekommt Bernhard von Clairvaux († 1153), einer Legende entsprechend, die Milch Mariens in den Mund geträufelt. In Texten ist davon die Rede, dass Christus und Äbte symbolisch mit Rat und Lehre die ihnen Anvertrauten nährten.
    Während der ersten sechs Jahre ihres Lebens wuchsen die Kinder der Oberschicht wohlbehütet in der Umgebung der Frauen auf. Mädchen und Buben waren bis zu diesem Alter gleich gekleidet, was zum Teil bis ins 19. Jahrhundert galt. Erst danach begann die geschlechtsspezifische Ausbildung.
    Die Idee, der Eigenwert der Kindheit sei erst im 19. Jahrhundert entdeckt worden, hat in der historischen Forschung zeitweise Fehlinterpretationen hervorgerufen. Daher lohnt es zu betonen, dass wir viele Geschichten über Mutter- und Vaterliebe aus allen sozialen Schichten kennen. Die Vaterrolle wurde allerdings eher in der strengen Erziehung gesehen, was Körperstrafen einschloss.
Ausbildung
    Eine Entwicklungsstufe allerdings, die wir heute als «natürlich» ansehen und die entscheidend der individuellen Entwicklung junger Menschen dient, fiel tatsächlich weitgehend aus: die Pubertät.Denn mit Beginn der Geschlechtsreife, wie erwähnt mit 12 bzw. 15 Jahren, wurden Mädchen und Buben abrupt in die ihrer jeweiligen Herkunft entsprechenden Erwachsenenrollen geworfen.
    Die Ausbildung ging durchaus weiter. Für die große Mehrheit der Menschen bestand sie vor allem im Vorbild innerhalb der Familie. In der Oberschicht konnte man sich eigene Lehrmeister und Lehrmeisterinnen leisten, die die jungen Menschen oft bis weit ins Erwachsenenleben begleiteten. Einige Kinder, Mädchen wie Knaben, wurden früh einem Kloster zur Erziehung übergeben, wobei nicht alle von vornherein zu einer geistlichen Laufbahn bestimmt waren. Die Klöster bekamen für die Zeit ihres Aufenthaltes von den Familien ein «Stipendium» zugesichert, worüber wir aus Verträgen Bescheid wissen. In einigen europäischen Kulturen des Mittelalters war es auch üblich, dass junge Menschen in fremde Haushalte zur Ausbildung gegeben wurden. Im Zweiten Mittelalter kamen dann regelrechte Schulen auf, von Markt-, Stadt- und Domschulen bis zu den Universitäten (vgl. S. 99). Diese waren nur Knaben zugänglich.
    Aber in der Oberschicht lernten auch Mädchen lesen und wohl auch schreiben und beschäftigten sich regelmäßig mit Büchern. Es sind vielfach Szenen überliefert, in denen Mädchen vorlesen. Es gibt, wie erwähnt, Hinweise darauf, dass Mädchen, auch wenn sie nicht für ein Nonnenleben bestimmt waren, in Klöstern, klosterähnlichen Gemeinschaften oder bei älteren Frauen ebenfalls eine Art schulischer Ausbildung erhalten konnten. Außerdem finden wir Berichte darüber, dass Mädchen bei den Hauslehrern ihrer Brüder mitlernen
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