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Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Titel: Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
Autoren: Karl Brunner
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konnten oder – wie die spätere Äbtissin Héloise – eigene Hauslehrer bekamen.
Rollenmuster
    Für junge Damen waren Kenntnisse in der Haushaltsführung inklusive Medizin und Diätetik notwendig. Ein größerer adeliger Haushalt erforderte auch die Fähigkeit zur Personenführung,zumal die Männer lange Zeit nicht zuhause waren, sondern z.B. auf Hoftagen oder Kriegszügen. Außerdem waren die Damen die wichtigsten Bezugspersonen für die Geistlichen und hatten Aufgaben im sozialen Netzwerk im Umfeld des Haushalts.
    Die drei «K», die noch im 19. Jahrhundert für Frauen «reserviert» wurden – Küche, Kinder und Kirche –, gerieten im Laufe der Zeit zu eher einschränkenden, ja abwertenden Markierungen. Im Mittelalter aber hing von diesen drei Bereichen das Überleben der Familie ab – was die Kirche betrifft, im metaphorischen Sinn.
    Die mühsame Herstellung der Textilien lag in den Händen einfacher Frauen, vor allem der Bäuerinnen und ihrer Mägde. Im frühen Mittelalter gab es auf den Herrenhöfen Frauenhäuser für die Textilherstellung, und in hochmittelalterlichen Ritterromanen finden sich immer noch Reflexe davon. Die gehobene Textilbearbeitung und -veredelung war hingegen adeligen Damen und ihrem Gefolge vorbehalten, schon deshalb, weil die verwendeten Materialien und Farben sehr teuer waren. Die vornehme Handarbeit brachte eine hohe Wertschöpfung und diente der weltlichen und geistlichen Repräsentation. Dazu kommt, dass die Aufbewahrung von Textilien angesichts der Allgegenwart von Schädlingen eine verantwortungsvolle Aufgabe darstellte.
    Das Rollenmuster für den adeligen Mann war vor allem das des Kriegers. Noch Kaiser Maximilian, der «letzte Ritter», trainierte hart, um diesem Rollenbild zu entsprechen, und ließ sich dabei abbilden. Für junge Männer aus besseren Häusern konnte sich an die ritterliche Ausbildung dann auch eine Adelstour zu verschiedenen Turnierstätten anschließen (vgl. S. 201f.).
Krankheiten und Heilungen
    Infektionskrankheiten konnte man nicht heilen, sondern bestenfalls die Symptome lindern. Wenn sich die Krankheit äußerlich zeigte, fürchteten sich die Zeitgenossen vor Ansteckung. Eine als «Aussatz» bezeichnete Krankheit war nicht immer Lepra, auchandere Hautkrankheiten konnten zur Isolierung von der Gesellschaft führen, z.B. in Aussätzigenhäusern (Leprosorien).
    Hebammen und Bader hatten auch medizinische Aufgaben. Zur Regelung des Blutkreislaufes – zumindest von Hildegard von Bingen wissen wir, dass seine Grundlagen bekannt waren – oder zum Ausgleich der «Säfte» (vgl. S. 17) waren Aderlässe beliebt. Dabei wird durch Einschnitte an bestimmten Körperstellen Blut entnommen, was die «schlechten Säfte» verringern sollte. In speziellen Kalendern konnte man nachlesen, zu welchen Zeiten sie am nützlichsten wären. Chirurgen waren wenig angesehen, was angesichts des Fehlens von entsprechenden Betäubungsmitteln nachvollziehbar ist. Die akademisch gebildeten Ärzte hatten für die alltägliche Heilpraxis der meisten Menschen wenig Bedeutung.
    Eine furchtbare Qual waren Zahnschmerzen, die man weitgehend hilflos ertragen musste. Wallfahrtsorte (vgl. S. 235f.), deren Heilige gegen Zahnweh halfen, konnten dementsprechend viel Kundschaft anziehen. Die Wallfahrt um der Gesundheit willen war bei Männern und Frauen gleichermaßen beliebt. Oft genügten die «Auszeit» und das soziale Erlebnis, um die Heilung zu erleichtern. Der schmerzende Zahn war unter Umständen längst abgestorben, bis man das Ziel erreichte. Es gab an vielen Wallfahrtsorten Möglichkeiten der medizinischen Behandlung oder wenigstens Beratung durch Geistliche.
    Heilungswunder können aus heutigem medizinischem Verständnis oft als psychosomatische Erscheinungen erklärt werden, wie viele der Krankheiten auch. Überraschend zahlreiche der überlieferten Symptome deuten für Mediziner auf Stresskrankheiten, die besonders dann entstanden, wenn eine Person die in sie gesetzten Rollenerwartungen nicht erfüllen konnte. Auch dabei konnten eine Wallfahrt und die für uns kaum vorstellbar dichte Glaubenserwartung in der sozialen Gruppe Wunder wirken.
    Einen Sonderfall stellte die Pest dar. Eingeschleppt vermutlich über Hafenstädte wie Genua, verbreitete sich die Infektion in wenigen Jahren über ganz Europa, so vernetzt war damals die Gesellschaftschon. Die Preise für Getreide gingen durch den geringeren Absatz zurück. Dadurch öffnete sich besonders für Agrargebiete eine Preisschere, denn
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