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Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Titel: Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
Autoren: Karl Brunner
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beobachtbar sein und von vielen in ihren Grundzügen verstanden werden. Die meisten Quellen führen dementsprechend zu Kulturen der Oberschichten. Das reicht im weltlichen Bereich von den Kaisern und Königen über den Adel bis zu den Bauern, die in ihrem begrenzten Umfeld ja auch Macht ausübten. Der kirchliche Bereich ist zwar anders organisiert und hat andere Aufgaben, aber seine Funktionsträger gehören derselben Oberschicht an.
    Bekannt ist die Brecht’sche Frage: Hatte Caesar nicht einen Koch dabei? Eine sorgsame Lektüre der Quellen fördert erstaunlich viele Informationen über die «Köchinnen und Köche» zu Tage, die politisches Handeln erst möglich machen. Aber man kann das Paradigma versuchsweise auch einmal umdrehen. Sind die Menschen, die uns als Akteure vorgeführt werden, nicht oft geradezu Marionetten am Draht der Interessen größerer, oft anonym bleibender Personengruppen?
    In jedem Kapitel habe ich mich bemüht, zu Beginn jenen Faktoren nahezukommen, die alle oder wenigstens viele Menschen betreffen. Ich beginne daher mit den materiellen Voraussetzungen. Daraus erst erwächst und darauf ruht die «Hochkultur», z.B. die höfische oder die der Gelehrten und Künstler. Die durch sie gesetzte symbolische Ordnung beeinflusst ihrerseits wieder den Lebensalltag, nicht nur für die Eliten.
    Der Umfang des Bändchens ist beschränkt, aber diese Beschränkung macht Sinn, wenn es gelingt, einen Text zum Lesen und nicht bloß zum Nachschlagen zu gestalten. Wer dann noch nicht genug hat, wird die weiterführende Literatur aufsuchen oder ein paar Jahre warten müssen, bis ich alle meine Fundstücke mit dem entsprechenden wissenschaftlichen Apparat in einem umfangreicheren Werk ausbreiten kann.
    Es gibt nur eine Methode, komplexe Zusammenhänge in überschaubarer Form vorzulegen: Man muss sie erzählen. Dabei ist mir bewusst, dass es auch dieses Mittelalter, von dem ich berichte, nicht wirklich «gibt». Man kann das meiste sicher auch ganz anders und mit anderen Beispielen darstellen. Dieser Text ist die Frucht einer lebenslangen Auseinandersetzung mit mittelalterlichen Quellen sowie der Forschungsliteratur und des lehrreichen Austauschs in Gesprächen. Was ich damit für die Leserinnen und Leser zu gestalten hoffe, sind – im Sinne Max Webers (Wissenschaftslehre 181) – idealtypische Bilder. Vielleicht macht ihre Betrachtung einfach Vergnügen. Vielleicht lassen sich mit ihrer Hilfe aber auch altes Herkommen und Überreste, Vorstellungen und Vorurteile kritisch einordnen und verstehen.
    Es gilt noch zu danken, einerseits den zahlreichen Wegbegleiterinnen und -begleitern im Laufe einer langen akademischen Tätigkeit, andererseits jenen, die mir durch kritische Lektüre bei diesem Buch geholfen haben: allen voran meiner Frau, den treuen Vor-Leserinnen und Lesern Eva Cescutti, Andrea Griesebner, Georg Hauptfeld, Bernhard Kuschey, Christina Lutter, Luzian Paula, Herwig Weigl – dem ich besonders viele Anregungen verdanke –, Alexander Weiger und, last but not least, dem kundigen Lektor Stefan von der Lahr.

I Der kulturell geformte Körper
    D er erste Schauplatz der Kultur ist, wie wir von den ältesten Kunstwerken der Menschheit wie der Venus von Willendorf (um 25.000 v. Chr.) und aus eigener Erfahrung wissen, der Körper selbst. Er wird von Zeit, Ort und sozialem Umfeld vielfältig geprägt: Nahrung, Erziehung und Lebensumstände schreiben sich in den Körper ein, die Vorstellungen von den Organen beeinflussen sogar indirekt ihre Funktionen. Menschen versuchen, ihn durch Übung zu einem tauglichen Werkzeug zu machen und zeitgenössischen Schönheitsidealen nahezukommen, nicht zuletzt mit Hilfe von Kleidung, allerlei Schmuck und Zierrat.
Mikrokosmos
    Mittelalterliche Gelehrte sehen im menschlichen Körper einen Mikrokosmos, in dem sich die Umwelt widerspiegelt: Aus der Erde hat er das Fleisch, aus dem Wasser das Blut, aus der Luft den Atem und aus dem Feuer die Wärme. Wie in der Natur befinden sich die Elemente im lebendigen Körper in einer wechselvollen Spannung. Des Menschen Kopf ist rund wie die Himmelssphären, die Augen glänzen wie Sternenlichter. Die Luft dient dem Hören, die Winde dem Riechen, der Tau wird mit dem Geschmack in Verbindung gebracht. Im Körper arbeiten die verschiedensten
officinae,
Werkstätten, die ihm das Leben ermöglichen. Nach außen gleicht er einer Stadt, wehrhaft und gut ausgerüstet.
Organe und Körperfunktionen
    Als die vier wichtigsten Organe gelten das Gehirn mit
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