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Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Titel: Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
Autoren: Karl Brunner
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Befreiung in so manchem Frühlingsgedicht, ja auch in der Osterfeier, hat einen ernsten, lebensweltlichen Hintergrund.
Essen
    Niemand, sagt Hildegard von Bingen († 1179), schlägt absichtlich eine Gitarre so an, dass die Saiten reißen. Dementsprechend sollten wir uns dem Körper gegenüber verhalten. Die Ernährung hat viel mit der Kultur zu tun. Allerdings ist der Speiseplan im Alltag stark reduziert: Der tägliche Speisezettel beinhaltet Kraut und Grütze, manchmal Grieben (Grammeln), und das für alle Stände, wenn auch in unterschiedlichen Mengen.
    Die Wohlhabenderen hatten Gewürze, konnten das Kraut auffetten und dazu Fleisch essen, zwar selten frisches, aber immerhin geräuchertes oder gepökeltes. Bauersleute hingegen sahen selten
vîgen, hûsen, mandelkern,
Feigen, Hausen (ein großer Fisch) und Mandeln, sondern mussten mit
rüeben kumpost,
eingemachten Rüben, zufrieden sein oder mit
birnkumpost und rüebelîn,
Birnenkompott und Rüben (Hugo von Trimberg, Renner 9815f. und 9839, vgl. S. 90; Heinrich von Neustadt, Apollonius 11.407, vgl. S. 86).
    Hunger guot ze muose ist
(Kleiner Lucidarius I 1059, vgl. S. 95;
muose,
heute «Mus», allgemein: Speise). Heute würden wir sagen: Hunger ist ein guter Koch. Das ist kein leeres Wort: Bis ins 13. Jahrhundert, als sich das Nahrungsangebot und die Transportmittel verbesserten, erlebte jede Person, ob arm oder reich, statistisch gesehen wenigstens zwei ernsthafte Hungersnöte. Zählen kann man jedoch nur jene Katastrophen, die es bis in die Chroniken brachten, nicht die vielen kleinen Engpässe.
    In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts gab es europaweit schwere Hungersnöte, weil das Wetter mehrere Jahre zu feucht war und die Menschen mancherorts sogar das Saatgetreide aufgegessen hatten (vgl. S. 245). Die Feuchtigkeit regte die Entstehung von Mutterkorn an, einem gefährlichen Pilz, der wie ein dunkles Korn an den Ähren von Roggen und Weizen wächst. Wird es vor dem Mahlen nicht sorgfältig ausgelesen, führt es zu einer schweren Vergiftung mit Fieber, dem sogenannten Antoniusfeuer. SeinenNamen hat es bekommen, weil sich besonders der Antoniter-Orden der Erkrankten annahm. Erst im 17. Jahrhundert verbreitete sich die Erkenntnis über den Zusammenhang zwischen der Krankheit und dem Mutterkorn, aber es gab in Dresden noch 1716/17 einen späten Ausbruch.
    Die Kultivierung von Roggen und Hafer, in der Antike nur Ackerbeikräuter (Unkraut), ermöglichte nördlich der Alpen eine agrarische Revolution. Beide Getreidesorten sind widerstandsfähiger als Weizen und Dinkel und können daher auch in klimatisch weniger begünstigten Regionen angebaut werden. Roggenbrot ist auch bedeutend haltbarer als Weizenbrot. Die Verbreitung ging mit der Expansion des Frankenreiches einher. Roggen war in der Dreifelderwirtschaft – einer Abfolge von Winter-, Sommersaat und Brache – als Wintergetreide, Hafer als Sommergetreide recht gut geeignet.
    Jeder, Burgherren ebenso wie Stadtbürger und einfache Leute, hatte seinen Krautgarten vor der Tür. Erst die aus der Neuen Welt eingeführte Kartoffel brachte eine wesentliche Umstellung der Ernährungsgewohnheiten. Sie wurde im späten 16. Jahrhundert zunächst als Zierpflanze angebaut, denn die Früchte sind ja unbekömmlich. Erst im 17. und 18. Jahrhundert wurden die Wurzelknollen als Nahrungsmittel propagiert, um den Getreidemarkt zu entlasten. Ihren Vorläufer als Hackfrucht im Fruchtwechsel stellte die Rübe dar.
    So wenig angesehen sie als Speisen waren, Kraut und Rüben blieben im Keller lange genießbar, und Bohnen, sprichwörtliches Armeleute-Essen, waren im Winter wohl auch einem Adeligen nicht zu minder, vielleicht mit ein wenig mehr Speck. So kommen sie sogar in einem Spottlied Walthers von der Vogelweide († um 1230) zu Ehren:
Waz êren hât frô Bone,
daz man sô von ir singen sol?
Si rehtiu vastenkiuwe!
S’ist vor und nâch der nône
wol fûl und ist der wîbel vol
wan êrst in der niuwe.

Vrou Bône – sed liberâ nôs â
mâlô, âmen.
Wie ehrenvoll ist Frau Bohne,
dass man so von ihr singen soll?
Sie rechter Fastenfraß!
Sie ist zum Mittag- und zum Abendessen
gleicherweise faul und voll von Maden,
auch wenn sie noch jung ist.

Frau Bohne – Aber erlöse uns von dem
Bösen, amen.
    walther L. 17, 25, Übersetzung nach Reichert
    Getreide versuchte man vor Schädlingen zu schützen, so gut es ging, aber in einem guten Speicher hielt es sich. Katzen waren allerdings selten, und die Mäusefallen nicht sehr
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