Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kleine Freie Männer

Kleine Freie Männer

Titel: Kleine Freie Männer
Autoren: Terry Pratchett
Vom Netzwerk:
als hätte etwas 11
    die Welt gepackt und schüttelte sie. Die Luft zischte. Leute flüsterten hinter geschlossenen Türen …
    Das Wasser begann zu sprudeln, direkt am Ufer. Es war
    dort nicht sehr tief – es hätte Tiffany nur bis zu den Knien gereicht –, aber plötzlich war es dunkler und grüner und sehr viel tiefer …
    Sie wich einige Schritte zurück, und eine Sekunde später stiegen lange, dürre Arme aus dem Wasser und griffen mit Klauenhänden dorthin, wo Tiffany eben noch gestanden
    hatte. Für einen Moment sah sie ein schmales Gesicht mit langen, spitzen Zähnen, riesigen runden Augen und nassem grünem Haar, wie Algenstränge, dann sank das Wesen in
    die Tiefe zurück.
    Als sich das Wasser über ihm schloss, lief Tiffany
    bereits am Ufer entlang zu dem kleinen Strand, wo
    Willwoll Froschpasteten machte. Sie riss den Jungen hoch, als aufsteigende Luftblasen um die Flussbiegung zogen.
    Wieder brodelte das Wasser, ein Geschöpf mit grünen
    Augen schoss nach oben, und Klauen bohrten sich in den Schlamm. Dann heulte das Wesen und sank ins Wasser
    zurück.
    »Will zur Toh-lett! « , schrie Willwoll.
    Tiffany schenkte ihm keine Beachtung. Nachdenklich
    beobachtete sie den Fluss.
    Ich fürchte mich gar nicht, dachte sie. Wie seltsam. Ich sollte mich fürchten, aber ich bin nur zornig. Ich meine, ich fühle die Furcht wie einen rot glühenden Ball, aber der Zorn lässt sie nicht nach draußen …
    »Will will will zur Toh-lett! « , schrie Willwoll.
    12
    »Dann geh«, erwiderte Tiffany geistesabwesend. Noch
    immer rollten kleine Wellen ans Ufer.
    Es hatte keinen Sinn, jemandem davon zu erzählen.
    Wenn sie es gut meinten, würden alle einfach nur sagen:
    ›Was hat das Kind doch für eine Phantasie.‹ Wenn sie es nicht gut meinten, würde es heißen: ›Erzähl kein dummes Zeug!‹
    Sie war noch immer zornig. Wie konnte es ein
    Ungeheuer wagen, im Fluss zu erscheinen? Erst recht ein so … so … lächerliches! Für wen hielt es sie?

    Dies ist Tiffany, auf dem Heimweg. Schauen wir zuerst auf ihre Stiefel. Sie sind groß und schwer, oft vom Vater
    repariert, und sie gehörten vor ihr mehreren Schwestern.
    Tiffany trägt drei Paar Socken, damit sie ihr nicht von den Füßen rutschen. Sie sind groß. Manchmal kommt sich Tiffany wie jemand vor, der nur Stiefel herumbewegt.
    Und dann ihr Kleid. Es hat vor ihr ebenfalls mehreren
    Schwestern gehört, und ihre Mutter hat es so oft
    gewaschen, dass eigentlich nichts mehr davon übrig sein dürfte.
    Aber Tiffany mag es. Es reicht ihr bis zu den
    Fußknöcheln, und von der ursprünglichen Farbe ist ein
    milchiges Blau übrig geblieben, die gleiche Farbe wie die der Schmetterlinge, die neben dem Weg in der Luft tanzen.
    Wir schauen uns jetzt Tiffanys Gesicht an: ein wenig
    rosarot mit braunen Augen und braunem Haar. Nichts
    Besonderes. Ihr Kopf mag jemandem, der sie beobachtet –
    zum Beispiel in einer Untertasse mit schwarzem Wasser –, 13
    etwas zu groß für den Rest der Körpers erscheinen, aber vielleicht wächst sie hinein.
    Und dann steigen wir nach oben, immer weiter nach
    oben, bis der Pfad zu einem Band wird und Tiffany und ihr Bruder zu zwei kleinen Punkten. Das Land wird sichtbar.
    Man nennt es Kreide. Eine grüne hügelige Landschaft
    erstreckt sich im hochsommerlichen Sonnenschein. Von
    hier oben gesehen, wirken die Schafherden, die langsam über die Wiesen mit dem kurzen Gras ziehen, wie Wolken an einem grünen Himmel. Hier und dort sausen
    Schäferhunde wie Kometen hin und her.
    Und als die Augen zurückweichen, wird das Land zu
    einem langen grünen Hügel, der wie ein großer Wal auf der Welt liegt …
    … umgeben vom schwarzen Regenwasser in der
    Untertasse.

    Fräulein Tick sah auf.
    »Der kleine Mann in dem Boot war einer von den ›Wir-
    sind-die-Größten!‹«, sagte sie. »Einer aus dem gefürch-tetsten Koboldvolk! Selbst Trolle fliehen vor den Kleinen Riesen! Und einer von ihnen hat sie gewarnt! «
    »Also ist sie die Hexe?«, fragte die Stimme.
    »In dem Alter?«, erwiderte Fräulein Tick. »Unmöglich!
    Niemand hat sie unterrichtet! Es gibt keine Hexen auf der Kreide! Sie ist zu weich. Und doch … sie hatte keine Angst
    …«
    Der Regen hatte aufgehört. Fräulein Tick blickte zu der 14
    Kreide, die sich unter den niedrig hängenden, ausgewrungenen Wolken erhob. Die Entfernung betrug etwa fünf
    Meilen.
    »Dieses Kind müssen wir im Auge behalten«, sagte sie.
    »Aber Kreide ist zu weich, als dass eine Hexe darauf
    wachsen kann
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher