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Kirschroter Sommer (German Edition)

Kirschroter Sommer (German Edition)

Titel: Kirschroter Sommer (German Edition)
Autoren: Carina Bartsch
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Zuhause.
    Nichtsdestotrotz würde es für immer die erste und letzte WG meines Lebens bleiben. So viel war sicher!
    Weil auch nach dreimaligem Sicherheitsklopfen noch kein Stöhnen oder andere tierähnliche Geräusche zu hören waren, wagte ich mich vorsichtig hinein. Ich sollte Glück haben. Die Wohnung war leer – das war der beste Umstand seit langem. Ich schnappte mir das Buch, warf mich auf mein Bett und machte genau dort weiter, wo ich vorher aufgehört hatte.
    Drei ganze Stunden quälte ich mich durch Lyrik aus dem achtzehnten Jahrhundert, bis mir endgültig der Kopf rauchte und ich mehrfach zu dem Entschluss kam, dass dieses Genre einfach viel zu kompliziert für mich war. Obwohl ich noch immer fünfzig Seiten vor mir hatte, konnte ich nicht anders, ich musste es weglegen. Die Wörter rauschten nur noch durch meinen Kopf wie ein Windstoß durch ein leeres Gebäude und ergaben keinerlei Sinn mehr. Seufzend drehte ich mich auf den Rücken und schloss meine überanstrengten Augen, die diese Auszeit bitter nötig hatten. Doch leider, wie sollte es auch anders sein, durfte ich die Ruhe nicht lange genießen. Bereits drei Minuten später platzte Eva ins Zimmer.
    »Huch, schläfst du schon?«
    Hatte auf diese Frage schon mal jemand mit Ja geantwortet? Hätte es jedes Mal einen Preis für dumme Fragen gegeben, hätte Eva eine extra Halle anmieten müssen, um die ganzen Pokale unterzubekommen. Und selbst wenn ich geschlafen hätte, würde ich es jetzt, nachdem sie die Tür nicht gerade leise zugeworfen hatte, mit Sicherheit nicht mehr tun.
    »Nein«, murmelte ich. »Das blöde Buch macht mich fertig. Woran merkt man, dass man hirntot ist?«
    »Keine Ahnung, ich war’s noch nie.« Sie grinste.
    Na, wenn das mal kein Gerücht war …
    Ich hörte ihre Schritte näher kommen und weil kurz darauf mein Bett nachgab, öffnete ich erneut meine Lider. Sie hatte sich an meine Seite gesetzt und nahm neugierig das hirntot-machende-Buch in Augenschein. Ihre schwarzen Haare waren zu einem Dutt nach oben gebunden.
    »Wow, also ich komme schon bei dem Titel nicht mehr mit.«
    »Glaub mir«, sagte ich, »der Titel ist im Vergleich zum Inhalt noch harmlos.«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Ich werde wohl nie verstehen, warum du dir das freiwillig antust.«
    Den Versuch, es ihr näher zu bringen, hatte ich längst aufgegeben. Eva studierte Biologie im vierten Semester und hatte mit meinem Studium der Literaturwissenschaften noch nie viel anfangen können. Dabei waren doch gerade Bücher eins der kostbarsten Geschenke auf Erden. Kunstvoll aneinander gereihte Wörter, die zu einer Melodie wurden und sich in Bilder verwandelten. Weiße, leere Blätter, auf denen Welten größer als das Universum entstanden. Welten, die Menschen in ihren Bann zogen und alles um sich herum vergessen ließen.
    Literatur war mit einem magischen Zauber belegt, der mich mit all seiner Kraft gefangen hielt.
    Eva lächelte und ließ ihren Blick eine Weile übertrieben unschuldig durch den Raum schweifen. Als sie dann noch mit »Duhu« anfing, wusste ich genau, was die Stunde geschlagen hatte.
    »Du brauchst das Zimmer ...«
    Hoffnungsvoll und scheinheilig grinste sie mich an.
    »Wie lange?«
    »Ein paar Stunden vielleicht?«
    Was soll’s, seufzte ich innerlich. Alex wartete bestimmt schon auf mich und mit dem Lernen schien es für den Moment ohnehin nichts mehr zu werden.
    »Meinetwegen«, sagte ich und kämpfte mich schwerfällig aus dem Bett. »Aber nicht zu lange. Ich muss die Lektüre später noch fertig lesen.«
    »Du bist die Beste!«
    »Ja ja.« Ich verdrehte die Augen. Eva und Nicolas waren mittlerweile seit eineinhalb Jahren ein Paar und es war nahezu erschreckend, welch ausgeprägtes Sexleben die beiden immer noch führten. Hörte das normalerweise nicht irgendwann auf?
    Gute Frage, woher sollte ich die Antwort darauf kennen? Meine längste Beziehung – von denen es insgesamt nur drei gab – dauerte acht Monate und war …
    Egal, reden wir besser nicht darüber!
    Ich verschwand noch kurz im Bad, um mich frisch zu machen, dann schnappte ich mir meine Umhängetasche und verließ mit den Worten »Grüß Nicolas von mir« die Wohnung.
    Mit eingeschaltetem MP3-Player begab ich mich zur Haltestelle und wartete in der Dämmerung auf den Bus, der wie gewohnt erst mit einiger Verspätung eintraf. Ich stieg hinein und zehn Minuten später endete die Fahrt wieder nahe dem Wohngebäude von Alex. Die letzten verbliebenen Meter legte ich zu Fuß zurück, und
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