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Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Titel: Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief
Autoren: Sue Grafton
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Blick zuwerfen würde, aber er hatte wie befohlen auf dem Sessel Platz genommen und schielte zum Teller. »Das ist geräucherte Auster. Und das ist ein bißchen Rahmkäse mit Chutney. Das wird dir schmecken. Hier.«
    Offensichtlich war er nahe dran, sie zu füttern, doch sie gab ihm einen leichten Klaps.
    »Laß das. Du nimmst jetzt selbst mal einen. Du verwöhnst mich bis zum Umfallen und, was noch schlimmer ist, du wirst mich dick und rund füttern.«
    Ich fühlte mein Gesicht vor Unbehaglichkeit erstarren, als ich sah, wie sich ihre Köpfe näherten. Henry ist fünfzig Jahre älter als ich, und unsere Beziehung war immer höchst anständig gewesen. Jetzt fragte ich mich, ob er sich bei den wenigen Gelegenheiten in der Vergangenheit genauso gefühlt hatte, wenn er morgens um sechs einen Typen aus meiner Wohnung wanken sah.
    »Wir sehen uns später, Henry«, sagte ich und ging auf meine Eingangstür zu. Ich glaube, er hatte mich gar nicht gehört.
    Ich zog mir ein Turnhemd und Shorts an, schnürte mir die Joggingschuhe zu und schlüpfte dann wieder hinaus, ohne daß jemand auf mich aufmerksam wurde. In flottem Tempo ging ich einen Block weiter zur Cabana, dem breiten Boulevard, der parallel zum Strand verläuft, und verfiel in einen Trab. Der Tag war heiß, und es gab nicht die geringste Bewölkung. Es war jetzt drei Uhr, und sogar die Brandung wirkte träge. Die Brise, die einem vom Meer her zugefächelt wurde, war voller Salz. Der Strand war mit Schutt verschmutzt. Ich wußte nicht mehr, warum ich mir eigentlich die Mühe machte zu rennen. Ich war nicht mehr in Form, schnaufte und prustete, und meine Lungen brannten innerhalb der ersten Viertelmeile wie Feuer. Mein linker Arm schmerzte, und meine Beine fühlten sich an wie FIolz. Immer wenn ich arbeite, laufe ich auch, und ich nehme an, das war der Grund für den heutigen Versuch. Ich lief, weil es an der Zeit war zu laufen und weil ich den Rost und die Steifheit aus meinen Gliedern schütteln mußte. So pflichtbewußt ich das Joggen auch machte, war ich doch nie ein wirklicher Fan dieses Trainings gewesen. Mir fällt bloß keine bessere Methode ein, mir dieses gewisse Wohlbefinden zu verschaffen.
    Die erste Meile bestand nur aus Schmerzen, und ich haßte jede einzelne Minute. Bei der zweiten Meile fühlte ich die Endorphine einrasten, und ab der dritten Meile hatte ich meinen Rhythmus gefunden und hätte für immer und ewig so weiterlaufen können. Ich sah auf meine Jogginguhr. Es war 3.33. Ich habe nie behauptet, ich sei schnell. Ich verringerte mein Tempo auf ein Gehen. Der Schweiß lief. Morgen würde ich dafür büßen, da war ich mir ziemlich sicher, doch im Moment fühlte ich mich locker. Meine Muskeln waren weich und warm. Ich benutzte den Heimweg, um mich abzukühlen.
    Als ich zurück zu meiner Wohnung kam, hatte der verdunstende Schweiß mich zum Frösteln gebracht, und ich freute mich auf eine heiße Dusche. Der Innenhof war verlassen. Nur die leeren Mint-Julep-Gläser standen dort Seite an Seite. Henrys Hintertür war geschlossen, und die Jalousien waren heruntergelassen. Ich schloß meine Tür mit dem Schlüssel auf, den ich mir ans Schuhband geknüpft hatte.
    Ich wusch mir die Haare, rasierte mir die Beine, schlüpfte in ein Kleid und fuhrwerkte eine Weile herum. Die Küche wurde aufgeräumt, der Schreibtisch geleert. Schließlich zog ich mir eine Hose, eine Tunika und Sandalen an und parfümierte mich. Um Viertel vor sechs schnappte ich mir meine große Lederhandtasche, ging wieder hinaus und schloß ab.
    Ich sah mir die Wegbeschreibung zu Bobbys Haus an, bog links in die Cabana Richtung Vogelschutzgebiet ein und folgte der Straße, die sich nach Montebello hineinschlängelte. Von Montebello sagt man, es habe mehr Millionäre pro Quadratmeile als irgendeine andere Gemeinde im Land. Ich weiß nicht, ob das stimmt oder nicht. Die Bewohner von Montebello sind ein bunter Haufen. Obwohl die großen Grundstücke jetzt mit Häusern der Mittelschicht durchzogen sind, bleibt der Gesamteindruck von Geld. Sorgsam kultiviertes und haltbar gemachtes Geld, eine gereifte Eleganz, die zurückgeht auf Zeiten, in denen Wohlstand mit Diskretion behandelt wurde und materielle Zurschaustellung den finanziell Ebenbürtigen Vorbehalten war. Die Reichen von heute sind nur noch geschmacklose Imitatoren ihrer früheren kalifornischen Pendants. Montebello hat seine »Slums«, einen merkwürdigen Streifen voller Schindelhütten, die für 140 000 Dollar das Stück verkauft
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