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Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Titel: Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief
Autoren: Sue Grafton
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zurückwich. Dann verpaßte ich ihm mit der Dachlatte einen Schlag auf die Schulter und rannte los, den Flur entlang. Irgendwann stolperte ich kurz, blieb jedoch auf den Beinen und lief weiter. Ich hatte das Gefühl, in ein Loch getreten zu sein, und etwas verspätet wurde mir klar, daß das Zeug, das er mir injiziert hatte, Wirkung zeigte. Mein linkes Bein fühlte sich wacklig, die Kniescheibe locker an, und beide Füße wurden langsam taub. Dieselbe Angst, die zuvor das Adrenalin durch meinen Körper gejagt hatte, schickte jetzt irgendein Gift auf den Weg. Es war wie bei einem Schlangenbiß. Es heißt, man soll nicht rennen.
    Unterdessen drehte ich mich um. Er hielt sich die Schulter und begann gerade, sich wieder langsam in meine Richtung aufzumachen. Er schien keine Befürchtungen zu haben, daß ich abhauen könnte, also mußte ich annehmen, daß er die Tür zum Treppenhaus blockiert hatte, als er heraufgekommen war. Entweder das, oder er hatte die Gewißheit, daß das Zeug, das er mir verpaßt hatte, mich sehr bald umhauen würde. Ich verlor allmählich das Gefühl in den Gliedern und spürte kaum noch meinen eigenen Griff um die Dachlatte. Ein Kälteschauer drang mir über die Haut durch Mark und Bein, als hätte man mich einem Schnell-Gefrierverfahren ausgesetzt, um mich Gott weiß wohin zu verfrachten. Mit aller Kraft kämpfte ich dagegen an, aber die Dunkelheit war gallertartig geworden, und ich fühlte mich zunehmend lahmer. Die Zeit verstrich auch immer langsamer, während meine körperlichen Abwehrmechanismen gegen die Droge kämpften. Mein Verstand arbeitete zwar noch, doch fühlte ich mich durch merkwürdige Empfindungen zunehmend abgelenkt.
    Ach ja, und dann noch all diese unangenehmen Einzelheiten, die mit einem Mal Sinn ergaben, als spielte mir meine rechte Gehirnhälfte einen Streich. Blitzartig wurde mir alles klar, wie ein Brodeln ging es durch meine Adern, daß Fraker derjenige gewesen war, der Kitty die Drogen beschafft hatte, wahrscheinlich im Austausch für Informationen über Bobbys Fortschritte bei der Suche nach der Tatwaffe. Ihr Vorrat in der Schublade des Nachttischchens war eine Finte gewesen. Er hatte sich an jenem Abend im Haus aufgehalten. Vielleicht war er der Ansicht gewesen, daß es an der Zeit war, sie aus dem Verkehr zu ziehen, damit sie nicht noch aufgrund von Schuldgefühlen Bobby gegenüber ihre Lügen zugab.
    Die Entfernung zur Ecke des Flures schien sich immer mehr auszudehnen. Ich rannte doch schon eine Ewigkeit lang. Die Übermittlung der simplen Befehle, die ich meinen Gliedern noch erteilen konnte, dauerte zu lange. Mein Feedback-System, das die Reaktionen meldet, entglitt meiner Kontrolle. Rannte ich eigentlich wirklich? Kam ich überhaupt von der Stelle? Die Geräusche um mich herum klangen immer gedehnter, das Echo meiner eigenen Schritte ertönte mit zeitlicher Verzögerung. Ich hatte das Gefühl, als spränge ich einen Korridor hinunter, dessen Boden beschaffen war wie ein Trampolin. Gedankenblitz Nummer zwei. Fraker hatte den Autopsiebericht manipuliert. Es war gar kein Anfall gewesen. Er hatte die Bremsleitungen durchtrennt. Schade, daß ich nicht schon früher darauf gekommen war. Mein Gott, was war ich doch für ein Trottel.
    Immer langsamer werdend, kam ich an dem Flurknick an und spürte, wie mein Körper in sich zusammensackte. Als ich um die Ecke gebogen war, mußte ich eine Pause einlegen. Ich lehnte mich gegen die Wand und schnappte nach Luft. Ich mußte einen klaren Kopf behalten. Und aufrecht stehen bleiben. Ich mußte die Arme anheben, wenn es noch ging. Die Zeit zog sich wie Karamel in langen, klebrigen Fäden, die man nicht mehr abbekommt.
    Er sang jetzt wieder und servierte mir ein paar gar nicht so schlechte Oldies aus seiner persönlichen Hitparade. Er war jetzt bei »Accentuate the positive... eliminate the negative« (Betone das Positive, beseitige das Negative) angekommen... die Vokale klangen gedehnt wie bei einem Schallplattenapparat, den man bei laufender Platte abgestellt hatte.
    Selbst die Stimme in meinem Hirn klang inzwischen hohl und weit entfernt.
    Duck dich, Kinsey, sagte sie.
    Ich dachte, ich könnte mich vielleicht ducken, aber ich konnte nicht mehr ausmachen, wo meine Beine waren oder die Hüfte oder der größte Teil des Rückgrats. Meine Arme fühlten sich schwer- an, und ich fragte mich, ob meine Ellbogen eigentlich angewinkelt waren.
    Schlag ihn zu Brei, sagte meine innere Stimme, und ich glaubte, ohne daß ich es hätte
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