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Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Titel: Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief
Autoren: Sue Grafton
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des Humpelns und so, und ich hörte meine hohen Absätze nicht sehr elegant hinterherklappern, als wir zum Foyer gingen. Ich blieb für einen Moment stehen, um mir die Schuhe auszuziehen, und holte ihn dann ein. Etwas an Bobbys Haltung brachte mich fast zum Lachen. Er war daran gewöhnt, sich unter den gleichen Leuten, vor denen man mir Respekt beigebracht hatte, ganz nach Belieben zu benehmen. Meine Tante wäre von der Gesellschaft beeindruckt gewesen. Bobby schien es nicht zu sein.
    Wir gingen die Stufen hinauf. Bobby zog sich an dem glatten Steingeländer hoch.
    »Trägt deine Mutter den Namen Wenner nicht?« fragte ich, während ich ihm folgte.
    »Nee. Tatsächlich ist Callahan ihr Mädchenname. Als sie und mein Vater sich scheiden ließen, habe ich meinen Namen auch in Callahan ändern lassen.«
    »Das ist ungewöhnlich, oder?«
    »Kommt mir nicht so vor. Er ist ein Trottel. Auf diese Art habe ich mit ihm genauso wenig zu tun wie sie.«
    Die Galerie oben bildete einen Halbkreis, von dem auf jeder Seite Flügel abgingen. Wir passierten einen Bogengang auf der rechten Seite und kamen in einen breiten Korridor, an dem sich in regelmäßigen Abständen Zimmer befanden. Die meisten Türen waren geschlossen. Das Tageslicht ließ langsam nach, und es war düster hier oben. Ich habe einmal eine Morduntersuchung an einer exklusiven Mädchenschule geführt, die die gleiche Atmosphäre ausstrahlte. Man hatte das Gefühl, das Haus sei in eine Art Anstalt umfunktioniert worden, in irgend etwas Unpersönliches und Kühles. Bobby klopfte an die dritte Tür auf der rechten Seite.
    »Kitty?«
    »Einen Moment«, rief sie.
    Er strahlte mich an. »Sie wird stoned sein.«
    Klar, warum auch nicht? dachte ich mit einem Achselzucken. Siebzehn.
    Die Tür öffnete sich, und sie spähte heraus. Mißtrauisch glitt ihr Blick von Bobby zu mir. »Wer ist das?«
    »Nun komm aber, Kitty. Würdest du bitte den Scheiß sein lassen?«
    Gleichgültig trat sie zur Seite. Bobby und ich gingen hinein, und er schloß die Tür hinter uns. Sie war magersüchtig — groß und extrem dünn, mit Knie- und Ellbogengelenken, die herausstanden wie bei einer Gliederpuppe. Ihr Gesicht war hager. Sie war barfuß und trug Shorts und ein weißes Schlauchhemd, das ungefähr die Größe einer Männer-Mannschaftssocke hatte.
    »Was glotzt du denn so?« meinte sie. Da sie keine Antwort zu erwarten schien, gab ich mir keine Mühe, ihr eine zu geben. Sie ließ sich auf ein ungemachtes französisches Bett fallen und starrte mich an, während sie sich eine Zigarette nahm und sie ansteckte. Ihre Nägel waren bis aufs Fleisch abgekaut. Das Zimmer war schwarz gestrichen und wirkte wie eine Parodie auf ein Jungmädchenzimmer. Es gab eine Menge Poster und Stofftiere, aber sie hatten alle Alptraumqualitäten. Die Poster zeigten Rockbands in aufgemotztem Make-up, finster und höhnisch und in größtenteils frauenfeindlichen Posen dargestellt. Die Stofftiere kamen eher Satyrn nah als Winnie dem Bären. Die Luft war parfümiert mit Eau de Dope, und meiner Vermutung nach rauchte sie hier so viel Gras, daß man nur die Nase ins Bettzeug stecken mußte, um high zu werden.
    Bobby genoß offenbar ihre Widerborstigkeit. Er zog mir einen Stuhl heran und fegte ohne weitere Umstände ein paar Kleidungsstücke auf den Boden. Ich setzte mich, und er streckte sich auf dem Fußende des Bettes aus und umfaßte mit einer Hand ihren linken Fußknöchel. Seine Finger überschnitten sich, als halte er statt dessen ihr Handgelenk. Das erinnerte mich an Hänsel und Gretel. Vielleicht befürchtete Kitty, man würde sie in den Kochtopf stecken, wenn sie zu fett würde. Ich dachte: Bevor es soweit kommt, wird man sie in ein Grab stecken, und das war beängstigend. Sie lehnte sich auf ihre Ellbogen zurück und lächelte mich über ihre langen, zerbrechlichen Beine hinweg schwach an. Alle Venen waren sichtbar, wie bei einem anatomischen Schaubild mit Zelluloidauflage. Ich konnte erkennen, wie ihre Fußknochen miteinander verbunden waren. Ihre Zehen sahen fast aus wie Greiforgane.
    »Und, was ist da unten los?« fragte sie Bobby. Ihr Blick war immer noch auf mich gerichtet. Ihre Aussprache war ganz geringfügig verschwommen, und ihre Augen schienen die Scharfeinstellung immer wieder zu verlieren. Ich fragte mich, ob sie betrunken war oder gerade ein paar Pillen eingeworfen hatte.
    »Sie stehen rum und ziehen sich den Ale rein, wie immer. Apropos Alkohol, ich hab uns Wein mitgebracht«, meinte er. »Haste
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