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Kinsey Millhone 02- In aller Stille

Kinsey Millhone 02- In aller Stille

Titel: Kinsey Millhone 02- In aller Stille
Autoren: Sue Grafton
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Vorbeigehen die Fenster ab. Die meisten der Fenster, die sich auf der Stirnseite des Hauses befanden, waren durch das Feuer herausgebrochen und anschließend mit Brettern vernagelt worden, doch nahe der Rückseite waren noch zwei unversehrte. Ich suchte mir eins aus und brach es auf. Es war stockduster, und in der Nachbarschaft war es still, bis auf die im Gras zirpenden Grillen. Ich wußte, ich sollte mir einen Fluchtweg offenhalten, doch das konnte ich nicht riskieren. Wenn die beiden auftauchten, würde ihnen jedes offene Fenster und jede offene Tür auffallen. Ich mußte eben einfach schnell arbeiten und darauf hoffen, daß meine Vermutung bezüglich der Mordwaffe stimmte. Ich hatte keine Zeit für Fehler.
    Ich kletterte in die Küche und zog das Fenster zu. Auf dem Fußboden knackte das zerbrochene Glas, als ich weiterging. Meine Taschenlampe leuchtete über geschwärzte Türrahmen und rußgefärbte Wände, in einen Flur voll dichter Dunkelheit. Ich hielt den Atem an und lauschte. Die Stille war einheitlich, eindimensional. Der Strom war abgestellt worden, und ich vermißte das leise Summen der Geräte. Kein Kühlschrank, keine Heizung, keine Wanduhr, kein Warmwasserbereiter, der aus dem anderen Raum tickte. Undeutlich kam mir die Redensart von der Grabesstille in den Sinn, aber ich schob sie beiseite. Ich ging weiter und erschreckte mich, als eine Glasscherbe unter meinem Fuß zerbrach. Ging da oben jemand herum? Ich schwenkte das Licht über die Decke. Halb erwartete ich, daß Fußabdrücke als sichtbare Vertiefungen dort auftauchen würden. Die Vorstellung hatte primitiven, comicmäßigen Charakter, wie jedes Kind bezeugen kann. Ich bewegte mich wieder. Weiter weg war eine Lichtquelle, ein blasser Schein fiel vom Haus nebenan ein. Ich blieb an dem Fenster stehen, das direkt auf das Wohnzimmer über den Weg hinausging. Mr. Snyder schaute sich eine Fernsehshow an. Geräuschlos flackerten die Bilder. Das einzige andere Fenster auf dieser Seite des Hauses war ein kleines, gleich neben der Küche auf der Rückseite. Ich hatte jetzt eine Theorie über das Klopfen, das May Snyder an jenem Abend gehört hatte, und ich war im Begriff, sie zu überprüfen. Ich schaute zu dem Raum, in dem sie schlief, aber er war schon dunkel. Ich fragte mich, ob es das war, was ein hohes Alter ausmachte — mehr und mehr Stunden zu schlafen, bis man sich eines Tages einfach nicht mehr die Mühe macht, wachzuwerden.
    Ich fuhr mit den Fingern über den Fensterrahmen und ließ das Licht über die vom Feuer verzogene Farbe scheinen, ein faltiges und runzliges Weiß, wie tote Haut. Ich konnte erkennen, wo das Holz vorher zerstört worden war. Ich konnte erkennen, wo es mit Nägeln wieder befestigt worden war: peng-peng-peng. Ich stellte die Taschenlampe auf dem Fensterbrett ab. Es dauerte ein paar Minuten, bis ich die Taschenlampe im richtigen Winkel angebracht hatte, so daß ich sehen konnte, was ich machte, und gleichzeitig beide Hände zum Arbeiten frei hatte. Ich schob die schmale Krümmung des Brecheisens in den Fensterrahmen und stemmte ihn mit einem so ohrenbetäubenden Krach auf, daß mein Herz einen Sprung machte. Nach meiner Auffassung war Elaine mit einem Schiebefenstergewicht getötet worden, das wieder in den Fensterrahmen zurückgesteckt und festgenagelt worden war. Die Ahnung war mir bei einem dieser Aha-Effekte gekommen, als ich die Gewichte in meinem eigenen Badezimmerfenster dumpf gegen die Pfosten hatte schlagen hören.
    Das war nett. Das hatte eine gewisse häusliche Ordentlichkeit an sich, die Marty gemocht haben mußte. Wenn das Haus an jenem Abend total abgebrannt wäre, wer hätte das dann jemals herausfinden sollen? Die Bulldozer hätten das, was vom Haus übriggeblieben wäre, niedergemäht, den Schutt in Tieflader gepackt und zur Müllkippe gebracht. Wer sollte sogar jetzt, so ruhig wie alles war, etwas davon wissen? Deswegen war es dumm von ihr, zurückzukommen, um sie zu holen. Warum ließ sie sie nicht einfach da, wo sie war? Sie war in Panik getrieben worden und wahrscheinlich darauf bedacht, jegliche Zweifel auszuräumen, damit sie sich sicher fühlen konnte, wohin sie auch ging. Vielleicht konnte man sie kriegen, aber was konnte man ihr schon beweisen? Wahrscheinlich war die Mordwaffe voll mit ihren Fingerabdrücken. Vielleicht hatte sie noch Haarsträhnen von Elaine an sich, oder Stückchen zersplitterter Zähne oder Knochen, mikroskopische Fleischpartikelchen. Ich fragte mich, was sie mit diesem
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