Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kindswut

Kindswut

Titel: Kindswut
Autoren: Jochen Senf
Vom Netzwerk:
nie herausfinden. Meiner Einschätzung nach geht das meiste auf ihre Kappe. Die Morde an Körner, Frank, Kalb, Sophie. Alles war kalt geplant. Das Attentat auf Sie, die Entführung, die Explosion. Sie wollte Sie einschüchtern. Warum überhaupt hatte sie Sie ins Spiel gebracht? Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür. Alles sehr irrational.« Sie schwieg. Sie fuhr mit den Fingern über die Tischplatte, wie mit einer Wünschelrute, die die Wahrheit suchte. »Alles Spekulation, was ich hier anstelle. Sie wollte Zeugen beseitigen. Beweisen kann ich es nicht. Frau Stadl gilt als nicht zurechnungsfähig. Strafrechtlich ist sie aus dem Schneider.« Sie warf einen Blick an die Decke. Als säße da ein Dritter, zu dem sie sprach, ein unsichtbarer Zeuge. »Ich werde nichts unternehmen, um Philip zu finden. Man kann ihm nur wünschen, dass er es schafft und nicht verschütt geht. Erstaunlich, dass er so geworden ist, wie er ist.« Ich wäre am liebsten um den Tisch herum zu ihr gegangen, um sie abzuküssen, trotz der Tabakbrösel auf ihrer Oberlippe.
    Sie wandte sich wieder mir zu. Der dritte Mann an der Decke war gegangen. »Die ganze perverse Mischpoke, die sonst mit dranhängt an den Geschäften der Frau Stadl, kriegt, hoffe ich, einen saftigen Denkzettel. Die Ermittlungen laufen zügig. Die Senatsverwaltung macht Krümel in den Käse. Wen wundert’s. Sie ist verstrickt. Andere führende Funktionäre des Gesundheitswesens hängen nicht minder tief mit drin. Wir kriegen sie. Das ist die Hauptsache.«
    Der Kaffee schmeckte wie kalter Muckefuck. Ich verzog den Mund, als ich einen weiteren Schluck probierte.
    »Kaffeespenden nehmen wir gerne entgegen«, grinste sie. Sie erhob sich. »Sie können gehen. Zwischen uns ist alles klar. Ich könnte auch anders. Aber das wissen Sie selber.« Das stimmte. Sie hätte mir einiges anhängen können. Behinderung der Ermittlung, Verschleppung von Beweismaterial. Wir verabschiedeten uns per Handschlag. Ich war schon an der Türe und hatte die Klinke in der Hand.
    »Barbara würde sich über einen Anruf freuen. Sie brauchen keine Angst zu haben, Sie Spaßvogel. › Geschieht ihm recht ‹ , sagte sie, als Sie abgeführt wurden. Sehe ich genauso.«
    Die Kommissarin war eine Klassefrau. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel. Ich würde mich jederzeit freiwillig von ihr verhaften lassen. Für eine Nacht. Länger nicht. Mit Frühstück. Selbstverständlich. Bloß eine Idee. Ich trat in die Keithstraße. Nur wenige Fenster im Kommissariat waren erleuchtet. Ich rief Barbara an.
    »Jetzt komm endlich!«
    »Ich beeile mich.« Ich war schnell bei ihr. Wir lagen dicht bei dicht. Die ganze Nacht. Es wurde nichts gesprochen. Nur wir.

Epilog
    Ein Zettel klebte an meinem Briefkasten. › Das Buch ist da ‹ , stand auf dem Zettel. Es war das Antiquariat mir schräg gegenüber. Es gehörte einem alten Herrn mit randloser Brille, der etwas gebeugt lief, und er stimmte auch Klaviere und richtete Akkordeons. Er trug immer eine Baskenmütze und eine graue Weste mit großen Hornknöpfen. Dazu eine schlabbrige, dunkelbraune Wollhose. Ich wusste nicht mehr, welches Buch ich bei ihm bestellt hatte. Ich riss den Zettel ab und überquerte die Leonhardt. Ich passierte die Wohnung der Frau Stadl. Ich hatte immer noch das Hologramm in meiner Hosentasche. Es schlug beim Gehen gegen den Oberschenkel.
    Barbara und ich hatten die letzten beiden Tage gerätselt, wer die Taten begangen hatte, die Entführung, das Attentat, den Sprengstoffanschlag, die Morde. Frau Stadl oder Philip. Sie hatte, bei all ihrer Verrücktheit, oder gerade deswegen, eine enorme kriminelle Energie, ein überschäumendes, ichbezogenes Temperament, das sie nicht zügeln konnte. Sie wurde von sich selbst überrollt. Wir konnten uns nicht einigen, wer es war, sie, er, oder alle beide. Philip hatte den Krustenschrank niederkrachen lassen. Er hatte die Mutter symbolisch getötet, vor aller Augen. › Seht her! Schaut sie euch an! ‹ Wir gaben das Spekulieren auf. Wir konnten den Knäuel mit seinen Schlingen und Knoten nicht entwirren. Eine für uns fremde Welt hatte sich einen Spalt breit geöffnet. Mehr auch nicht. Der Krustenschrank blieb rätselhaft. Ein Drama hatte sich in ihm abgespielt. Barbara machte sich Vorwürfe.
    »Ich habe versagt, als Philip bei mir war.« Sie ließ es sich nicht ausreden.
    Ich betrat das Antiquariat. Ein junger Mann mit Rastalocken räumte Bücher in ein Regal. Ich hatte ihn noch nie hier gesehen.
    »Ja?« Er klatschte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher