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Kindspech: Tannenbergs achter Fall

Kindspech: Tannenbergs achter Fall

Titel: Kindspech: Tannenbergs achter Fall
Autoren: Bernd Franzinger
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und aus seinem Nacken. Ein wenig Erleichterung machte sich in ihm breit. Er schaltete seinen Computer ein und rief die BKA-Datenbank auf. Zunächst stieß er auf mehrere Fälle von Kindesentzug, doch dann traf ihn fast der Schlag. In der Unterdatei ›Entführungsfälle‹ lächelte ihm ein Mädchen entgegen, das Emma ziemlich ähnlich sah: große, wache Augen, blonde Locken, eine winzige Stupsnase. Der beigefügten Text jagte ihm eiskalte Schauer den Rücken hinunter.
    Die Tragödie hatte sich irgendwo in Norddeutschland ereignet. Ein achtzehn Monate altes Kleinkind wurde zwei Wochen nach seiner Entführung unweit eines Flussufers tot aufgefunden. Die Leiche der aus dem Garten des elterlichen Hauses entführten kleinen Charlotte wies schwerste Kopfverletzungen auf. Die Täter konnten bald darauf festgenommen werden. Sie legten ein umfassendes Geständnis ab, das die Polizei unter anderem zum Fundort des Leichnams führte.
    Die beiden Täter hatten das Anwesen der begüterten Unternehmerfamilie wochenlang ausspioniert und einen für sie günstigen Moment abgewartet. Dann fuhren sie mit einem Motorroller zum Grundstück, wo einer von ihnen über den Zaun kletterte und sich die Kleine schnappte. Die Entführer gaben an, auf die wohlhabende Familie in einem Managermagazin aufmerksam geworden zu sein. Das Motiv für die Tat sei Geldnot gewesen. Die Männer beschuldigten sich gegenseitig, das Kleinkind mit mehreren Schaufelhieben auf barbarische Art und Weise getötet zu haben. Die grausame Tat hätte sich bereits kurz nach dem Kindesraub ereignet, Auslöser sei das bitterliche Weinen des Kindes gewesen.
    Die Entführung der kleinen Charlotte hatte damals zwei Wochen lang die halbe Republik in Atem gehalten. Da das kleine Mädchen an Epilepsie litt und dringend auf Medikamente angewiesen war, gestaltete sich die Suche nach dem Kleinkind als dramatischer Wettlauf gegen die Zeit.
    »Den man ja leider von vornherein nicht hatte gewinnen können«, flüsterte Tannenberg betroffen vor sich hin, »weil die Kleine schon längst tot war.«
    Er stützte den Kopf auf die Handflächen, rieb sich die Stirn und stierte das Farbfoto des Mädchens an. Plötzlich tauchte vor ihm auf dem Flachbildschirm Emmas Gesicht auf. ›Epilepsie‹, schoss es ihm durchs Hirn.
    Leidet Emma an irgendeiner Krankheit? Braucht sie Medikamente? Er hörte seinen eigenen Herzschlag im Ohr pochen. Panik erfasste ihn. Fieberhaft grübelt er über diese Fragen nach. Er griff zum Telefonhörer und tippte die ersten Zahlen von Heiners Nummer ein. Nein, nein, ich kann die Armen nicht noch mehr beunruhigen. Die sind doch schon gequält genug. Er zog sein Handy vom Schreibtisch und wählte die eingespeicherte Nummer des Rechtsmediziners. Es dauerte eine Weile, bis sich Dr. Schönthaler endlich meldete.
    »Hat Emma irgendeine Krankheit?«, blaffte er seinen besten Freund an. »Also eine, die man behandeln muss.«
    »Nein, soviel ich weiß nicht«, antwortete der Pathologe verwundert.
    »Gott sei Dank!«
    »Warum fragst du, Wolf?«
    »Weil sie dann dringend Medikamente benötigen würde, die der Entführer ja garantiert nicht bei sich hat.« Er stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. »Gott sei Dank, sie ist also kerngesund.«
    »Ja, bis auf ihre Laktose-Allergie.«
    »Was, was ist denn das?«, stammelte der Kriminalbeamte.
    »Laktose-Allergie ist eine Unverträglichkeit bestimmter Nahrungsmittel und …«
    »Und was heißt das konkret?«, fiel Tannenberg seinem Freund ins Wort.
    »Das heißt für Emma, dass sie zum Beispiel keine Kuhmilch trinken darf.«
    »Und was passiert, wenn sie es doch tut?«
    Im Lautsprecher hörte man, wie Dr. Schönthaler geräuschvoll Luft einsog und anschließend den Atem durch die geschlossenen Zahnreihen ausstieß. Er erzeugte dabei ein Geräusch wie ein tuckernder Rasenmähermotor.
    »Was passiert dann?«, setzte Tannenberg nach.
    »Die Symptome reichen von Hautausschlägen, Bauchkrämpfen bis hin zu blutigen Durchfällen, schweren Koliken und …« Er machte zunächst keinerlei Anstalten, weiterzusprechen.
    »Und was noch?«, schrie Tannenberg.
    »Asthma bronchiale«, antwortete der Mediziner mit belegter Stimme, »das ohne Medikamente durchaus lebensbedrohlich werden kann.«
     
     
    14 Uhr 20
     
    Dieses schockierende Telefonat steigerte Tannenbergs Sorgen um das jüngste Familienmitglied ins schier Unerträgliche. Eine explosive Mischung aus Wut und Verzweiflung braute sich in ihm zusammen. Er musste dringend an die
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