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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition)
Autoren: Bernard Minier
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einfacher Regen. Eine Sintflut. Kaum konnten sie den Waldweg und die Schläge erkennen. Hin und wieder durchzuckten Blitze den Himmel, aber meistens sahen sie in der Finsternis nichts als die von Funken flirrende Lichtblase, in der sie sich fortbewegten. Man hätte meinen können, die von Menschen bewohnten Gebiete wären von einer gigantischen Flutkatastrophe heimgesucht worden und sie wären auf dem Grund des Ozeans unterwegs. Servaz heftete die Augen auf die Straße. Das Hin und Her der Scheibenwischer war wie ein Echo seines pochenden Herzens, das in seiner Brust viel zu schnell schlug. Sie hatten die Autobahn schon vor einiger Zeit verlassen und fuhren jetzt durch die in schwarze Nacht gehüllte Hügellandschaft. Für einen dreißigjährigen Städter wie Espérandieu war das ungefähr so, als würde er an Bord eines Mini-U-Boots einen Tauchgang in einen Tiefseegraben unternehmen. Wenigstens hatte nicht auch noch sein Chef die Musik ausgewählt. Vincent hatte ein Album von Queens of the Stone Age in den CD-Spieler gelegt, und dieses eine Mal hatte Martin nicht protestiert.
    Er war viel zu sehr in seine Gedanken vertieft.
    Für den Bruchteil einer Sekunde ließ Espérandieu die Straße aus den Augen. Er sah, wie sich das Licht der Scheinwerfer und das Pendeln der Scheibenwischer in den schwarzen Pupillen seines Chefs spiegelte. Servaz spähte genauso konzentriert auf die Straße wie vorher auf den Bildschirm: ohne ihn zu sehen. Vincent musste wieder an den Anruf denken. Seither war Martin wie verwandelt. Vincent glaubte zu verstehen, dass in Marsac irgendetwas geschehen war und dass die Anruferin eine alte Freundin war. Mehr hatte Servaz nicht herausgelassen. Er hatte Pujol gesagt, er solle sich ruhig weiter das Fußballspiel ansehen, und Espérandieu darum gebeten, mitzukommen.
    Im Auto hatte er ihn gebeten, Samira anzurufen. Espérandieu hatte keine Ahnung, was los war.
    Als der Renault Scénic in die tunnelartige Platanenallee, die in die Stadt führte, einbog, ließ der Regen etwas nach, und sie schlängelten sich durch die schmalen Gassen im Zentrum und rumpelten über das Kopfsteinpflaster.
    „Links“, sagte Servaz, als sie einen Platz mit einer Kirche erreichten.
    Espérandieu staunte über die vielen Kneipen, Cafés und Restaurants. Marsac war eine Universitätsstadt mit 18.503 Einwohnern. Und fast genauso vielen Studenten. Man konnte hier Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften und Rechts- und Wirtschaftswissenschaften studieren, außerdem gab es noch die renommierte Khâgne . In einem einprägsamen Schlagwort hieß die Stadt in den Zeitungen „das Cambridge Südwestfrankreichs“. Rein polizeilich sorgte ein solcher Ansturm von Studenten vermutlich regelmäßig für Probleme wie etwa Trunkenheit oder Drogeneinfluss am Steuer, Cannabis- und Amphetaminhandel und so manche mehr oder weniger politisch motivierte Sachbeschädigung. Nichts jedenfalls, wofür die Mordkommission zuständig wäre.
    „Sieht nach Stromausfall aus.“
    Tatsächlich waren die Straßen stockdunkel, und selbst die Fenster der Pubs und Bars waren nicht erleuchtet. Hinter den Scheiben sah man Lichtkegel von Taschenlampen hin- und her huschen. Das Gewitter , dachte Vincent.
    „Fahr um den Platz herum und in die zweite Straße rechts.“
    Sie umfuhren die eingezäunte kleine Grünanlage und verließen den Platz durch eine enge gepflasterte Straße, die zwischen hohen Fassaden steil aufwärts führte. Zwanzig Meter weiter erkannten sie durch die dichten Regenschleier hindurch die peitschenden Blaulichter. Die Gendarmerie … Jemand hatte sie gerufen.
    „Was soll dieser Zirkus?“, fragte Espérandieu. „Hast du gewusst, dass die Gendarmerie an der Sache dran ist?“
    Sie parkten hinter einem Renault Trafic und einem Citroën C4, beide im typischen Blauton der Gendarmerie. Der Regen prasselte so heftig auf die Karosserien, dass die Dächer wie gespickt aussahen. Da sein Chef nicht antwortete, drehte sich Vincent zu ihm hin. Martin wirkte angespannter als sonst. Er warf seinem Mitarbeiter einen ratlosen, zögernden Blick zu und stieg aus.
    In weniger als fünf Sekunden waren seine Haare und sein Hemd völlig durchnässt. Mehrere Gendarmen in Regenhäuten standen scheinbar ungerührt im Wolkenbruch. Einer von ihnen kam auf sie zu, und Servaz zog seinen Dienstausweis. Der Gendarm runzelte die Stirn vor Verwunderung darüber, dass die Mordkommission bereits am Tatort war, noch ehe die Staatsanwaltschaft sie mit den Ermittlungen betraut
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