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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition)
Autoren: Bernard Minier
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Espérandieu.“
    „Wer hat Sie informiert?“, fragte Becker als erstes.
    Dieser gedrungene Mann Anfang fünfzig schien, nach den dunklen Tränensäcken unter den Augen zu urteilen, an Schlaflosigkeit zu leiden. Außerdem war er war von dem, was er gesehen hatte, sichtlich mitgenommen. Und seine Laune war auf dem Nullpunkt. Noch einer, den man von seinem Fußball weggerissen hat.
    „Ein Zeuge“, antwortete er ausweichend. „Und Sie, wer hat Sie verständigt?“
    Bécker schnaubte, als wollte er seine Informationen nur ungern mit Unbekannten teilen.
    „Ein Nachbar. Oliver Winshaw. Ein Engländer … Er wohnt da, auf der anderen Straßenseite.“
    Er zeigte mit der Hand auf die Wand.
    „Was hat er gesehen?“
    „Das Fenster seines Arbeitszimmers geht auf den Garten. Er hat einen jungen Mann am Rand des Schwimmbeckens sitzen sehen und einen Haufen Puppen im Wasser. Das fand er seltsam, also hat er uns angerufen.“
    „ Puppen? “
    „Ja. Sie sehen es gleich selbst.“
    Sie befanden sich im Wohnzimmer des Hauses, wo es wie offensichtlich in ganz Marsac stockdunkel war. Die Tür zur Straße stand offen, und das Zimmer wurde nur von den Scheinwerfern der draußen parkenden Fahrzeuge beleuchtet. Im Halbdunkel erkannte Servaz schemenhaft eine amerikanische Küche, einen runden Tisch, auf dessen Glasplatte eine Lichtergirlande tanzte, vier schmiedeeiserne Stühle, ein Geschirrschrank und hinter einem Pfeiler eine Treppe, die nach oben führte. Feuchte Luft strömte durch die Fenstertüren, die zum Garten hin weit offen standen. Di musste jemand blockiert haben, überlegte Servaz, damit sie nicht zuschlugen. Draußen prasselte der Regen, und die Blätter rauschten im Sturm.
    Ein Gendarm ging dicht an ihnen vorbei; im Lichtkegel seiner Taschenlampe waren für einen Augenblick ihre Silhouetten deutlich zu sehen.
    „Wir installieren gerade ein Notstromaggregat“, sagte Bécker.
    „Wo ist der Junge?“, fragte Servaz.
    „Im Wagen. Gut bewacht. Wir bringen ihn zur Gendarmerie.“
    „Und das Opfer?“
    Der Gendarm zeigte mit dem Finger zur Decke.
    „Da oben. Unterm Dach. Im Bad.“
    An seiner Stimme merkte Servaz, dass er noch immer unter Schock stand.
    „Hat sie allein hier gewohnt?“
    „Ja.“
    Nach dem, was er von der Straße gesehen hatte, war es ein großes Haus: vier Etagen, wenn man den Dachboden und das Erdgeschoss mitzählte – auch wenn jedes Stockwerk nicht mehr als fünfzig Quadratmeter groß war.
    „Eine Lehrerin, richtig?“
    „Claire Diemar. Zweiunddreißig. Sie war in Marsac Lehrerin für Ich-weiß-nicht-was.“
    Im Dämmerlicht begegnete Servaz dem Blick des Gendarmen.
    „Der junge Bursche war einer ihrer Schüler.“
    „Was?“
    Ein Donnerschlag übertönte die Worte des Gendarmen.
    „Ich habe gesagt, dass sie den Jungen unterrichtet hat.“
    „Ja, ich weiß.“
    Servaz starrte Bécker n der Dunkelheit an, beide waren in Gedanken versunken.
    „Ich vermute, Sie sind das gewohnt, jedenfalls mehr als ich“, sagte der Gendarm schließlich. „Aber ich warne Sie trotzdem: Das ist kein gerade schöner Anblick … Ich habe noch nie etwas so … Abscheuliches gesehen.“
    „ Verzeihung!“ , tönte plötzlich eine Stimme von der Treppe her.
    Sie drehten um.
    „ Darf ich wissen, wer Sie sind?“
    Jemand stieg die Stufen herunter. Eine hochaufgeschossene Gestalt trat langsam aus dem Dunkel hervor.
    „Commandant Servaz, Mordkommission Toulouse.“
    Der Mann reichte ihm eine Hand mit übergestreiftem Lederhandschuh. Er mochte an die zwei Meter groß sein. Servaz sah an der Spitze dieses Körpers vage einen langen Hals, einen seltsam breiten Kopf mit abstehenden Ohren und kurzgeschnittenem Haar. Der Hüne zerquetschte in dem weichen Leder schier Servaz´ noch feuchte Hand.
    „Roland Castaing, Staatsanwaltschaft von Auch. Ich habe gerade mit Catherine telefoniert. Sie hat mir gesagt, dass Sie unterwegs sind. Darf ich wissen, wer Sie informiert hat?“
    Er spielte auf Cathy d´Humières an, die leitende Staatsanwältin in Toulouse, mit der Servaz schon mehrfach zusammengearbeitet hatte – insbesondere bei dem spektakulärsten Fall seiner Laufbahn, der ihn vor anderthalb Jahren ins Institut Wargnier geführt hatte. Servaz zögerte.
    „Marianne Bokhanowsky, die Mutter des jungen Mannes“, antwortete er. Es entstand eine kurze Pause.
    „Sie kennen sie?“
    Der Tonfall des Staatsanwalts verriet ein leichtes Erstaunen mit einem Anflug von Argwohn. Er hatte eine dunkle, tiefe Stimme, die über die
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