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Kinder

Kinder

Titel: Kinder
Autoren: Jürgen Seibold
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Schule erzählen und das Erlebte
mit Ihnen teilen könnte. Ihr Beruf und der Ihres Mannes sind sicher sehr spannend,
aber ob das für ein elfjähriges Mädchen wirklich das richtige Thema ist, an
jedem Abend der Woche?«
    Karin Knaup-Clement schnappte empört nach Luft, die mollige Frau
neben ihr grinste.
    »Und Ihr Benjamin, Frau Weber«, wandte sich Rosemarie Moeller an die
Mollige, »tut sich morgens etwas schwer mit der Konzentration. Vielleicht gibt
es ja die Möglichkeit, dass er ein Zimmer etwas weiter entfernt vom
Elternschlafzimmer bekommen könnte?«
    Ursel Weber lief puterrot an.
    »Ein ungestörter Schlaf ist sehr wichtig für Kinder dieses Alters«,
fuhr die Lehrerin ungerührt fort, »und ich hatte zudem den Eindruck, dass ihn
manche Geräusche durchaus verstören.«
    Rainer Pietsch verkniff sich ein Grinsen. So unterhaltsam war schon
lange kein Elternabend mehr gewesen – obwohl ihm diese Lehrerin nicht ganz
geheuer war.
    Rosemarie Moeller nahm einige Notizen vom Tisch auf, blätterte ein
wenig darin und legte die Blätter dann wieder weg. Das nahm zwei, vielleicht
drei Minuten in Anspruch, aber im Klassenzimmer blieb es ruhig, alles wartete
darauf, dass die Lehrerin fortfuhr. Rainer Pietsch konnte sich gut vorstellen,
dass sie auch ihre jeweilige Klasse mit ihrer autoritären Art mühelos im Griff
behielt.
    Rosemarie Moeller wollte gerade weiterreden, als ihr Blick auf
Christine Werkmann fiel – den erhobenen rechten Arm quittierte sie mit einem
knappen Kopfnicken und legte den Kopf ein wenig schräg.
    »Mein Sohn Kevin hat mir erzählt, dass er schon mehrfach seit Beginn
des Schuljahres gehänselt wurde. Und er hat den Eindruck, dass das in den
letzten Tagen schlimmer wurde.«
    Einige Eltern verdrehten die Augen: Sie erinnerten sich noch gut an
das vorige Schuljahr, als Kevin für viel Ärger gesorgt hatte, von seiner Mutter
aber immer in Schutz genommen worden war.
    »In den vergangenen Tagen, meinen Sie?«
    Christine Werkmann sah sie verständnislos an.
    »Nach den letzten Tagen kommen keine Tage mehr, und das wollen wir
ja nicht hoffen.«
    Einige Eltern grinsten, wurden aber gleich wieder ernst, als
befürchteten sie, als Nächste ins Visier der stengen Lehrerin zu geraten.
    »Das können Sie halten wie Sie wollen«, entfuhr es Christine
Werkmann. »Ich habe jedenfalls ein Problem damit, dass in dieser Klasse ein
Kind … ich sage mal: gemobbt wird, weil es vielleicht nicht der Norm
entspricht.«
    Rosemarie Moeller sah die Mutter ruhig an.
    »Und diesen Eindruck haben Sie gewonnen?«, fragte sie schließlich.
    Christine Werkmann nickte und hielt dem Blick der Lehrerin stand.
    Rosemarie Moeller sah in die Runde.
    »Sieht das noch jemand so?«
    Keine Reaktion.
    »Es wäre nicht in Ordnung, wenn ein Kind mit Übergewicht und Brille,
mit etwas schwachem Willen und … nun ja: eingeschränkten Lernfähigkeiten in
dieser Klasse … wie sagten Sie, Frau Werkmann? Gemobbt wird?«
    Die Mutter nickte mit zusammengepressten Lippen, ihre Gesichtsfarbe
nahm allmählich eine dunklere Färbung an.
    »Wenn dieses Kind also gemobbt würde, wäre das natürlich auf gar
keinen Fall in Ordnung. Und das wollen wir in dieser Klasse, an dieser Schule,
auch nicht dulden. Deshalb noch einmal die Frage an Sie alle: Hat noch jemand
den Eindruck, Kevin werde von seinen Mitschülern gehänselt, geärgert,
unterdrückt?«
    Niemand sagte etwas, nur wenn die Lehrerin jemanden direkt ansah,
erntete sie ein knappes Kopfschütteln. Schließlich sah sie mit leicht fragendem
Blick wieder zu Christine Werkmann hin.
    »Typisch«, zischte die Mutter. »Hier kriegt doch keiner den Mund
auf. Glauben Sie denn, dass hier jemand seine Kinder verpfeift?«
    Der Blick der Lehrerin wurde leicht tadelnd.
    »Und überhaupt: Sie beschreiben meinen Jungen, als sei er hier das
Allerletzte – ist das die Art, mit der Sie die Kinder zu neuen Höchstleistungen
antreiben wollen?«
    »Ich habe nichts gesagt, was nicht zuträfe, Frau Werkmann. Und davor
sollten gerade Sie als alleinerziehende Mutter nicht die Augen verschließen.«
    Christine Werkmann sprang auf und funkelte die Lehrerin an.
    »Alleinerziehend? Ja, und? Was hat das denn jetzt wieder damit zu
tun? Ist es Ihnen unangenehm, wenn Familien nicht dem alten Heile-Welt-Bild
entsprechen? Glauben Sie, ein Junge kann von seiner Mutter allein nicht großgezogen
werden?«
    Rosemarie Moeller ließ den Ausbruch ruhig über sich ergehen, die
anderen Eltern verfolgten den Machtkampf interessiert, die
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